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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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angefangen von einer primitiven Schlägerei bis hin zu Intrigen der Staaten und der Wachen, hängt davon ab, über welche Informationen die eine oder andre Seite verfügt. Wer die Kräfte und die Ziele des Gegners besser einzuschätzen vermag, der wird auch siegen.
    Die Ziele Sebulons und die Ziele Antons konnten nicht dieselben sein. Das verbot sich von selbst. Aber wenn das, was der Chef der Tagwache gesagt hatte, bereits berücksichtigte, dass Anton allein den Gedanken, der Sitzung des Tribunals nicht beizuwohnen, ablehnen würde?
    Wo lag die Wahrheit, wo die Lüge? Die Worte Sebulons waren ein Käfig, und in dem Käfig stand ein Fangeisen und in dem Fangeisen eine Mausefalle, und in der Mausefalle lag ein vergifteter Köder ... Wie viele Schichten der Lüge musste er abtragen, um die Wahrheit zu erkennen?
    Anton kramte eine Münze aus der Hosentasche. Er warf sie... lachte und steckte sie wieder weg, ohne hinzusehen, was gekommen war: Wappen oder Zahl.
    Das brachte nichts.
    Wenn eine von zwei Möglichkeiten eine Falle war, dann musste er eine dritte finden. Um bei Tagesanbruch an der Sitzung des Tribunals teilzunehmen, musste man entweder sehr früh aufstehen oder gar nicht erst zu Bett gehen. Ich zog das zweite vor. Ausschlafen konnte ich danach.
    Meine Dunklen Kollegen versuchten mit einiger Hartnäckigkeit, die Motive meines Handelns aus mir herauszubekommen, doch da ich selbst kaum verstand, warum ich etwas so machte und nicht anders, brachte ihnen das nicht allzu viel.
    Tagsüber passierte nichts Interessantes. Ich sah kurz in das Geschäft, in dem ich eine Scheibe für meinen MD-Player hatte brennen lassen, und erkundigte mich, ob sie die Zusammenstellungen aufbewahrten, die ihre Kunden verlangen würden. Wie sich herausstellte, war dem so. Aus irgendeinem Grund bestellte ich eine Kopie der MD, die Anton Gorodezki, der Lichte Magier, sich hatte aufnehmen lassen. Ob ich hinter seinen Blick auf die Welt kommen wollte, indem ich seine musikalischen Vorlieben in Erfahrung brachte? Ich wusste es nicht...
    In der letzten Zeit hatte ich aufgehört, mir Fragen zu stellen, denn zu selten fand ich eine Antwort. Und noch seltener eine zutreffende.
    Und noch etwas prägte sich meinem Gedächtnis ein: eine Begegnung in der Metro. Ich fuhr gerade aus dem Musikgeschäft zurück. Mit der Metro. Ich saß da, die Hände in die lackentasche gestopft (die Dunklen hatten Gott sei Dank meine Sachen vom Einsatz auf dem Flughafen wieder mitgebracht), und hörte meine neu erworbene Scheibe. Nikolski sang vom Spiegel der Welt. Es ging mir gut, mich beunruhigte nichts.
     
Das Wesen der Dinge, die Folge von Jahren, 
    Gesichter der Freunde und feindliche Mienen -Sie
    müssen sich ganz ohne Rest offenbaren Dem Blick
    des Poeten, dem Zeitalter dienen. Geheimnis, auf
    das fernes Sternenlicht fällt, Und Inspiration, von
    der Sonne erhellt, Die Rätsel von Leben, Liebe und
    Glück -Die Seele des Dichters wirft alles zurück Als
    Spiegel der Welt. 
     
    Und plötzlich veränderte sich kaum fassbar etwas in meiner Nähe. Eine Ansage warnte gerade die Fahrgäste, die zu spät kamen: Vorsicht, Türen schließen. Ich drückte auf »Pause«, riss den Kopf hoch und sah mich um.
    Dann sah ich ihn. Einen Jungen von vierzehn, fünfzehn Jahren. Ohne Frage ein Anderer. Vermutlich initiiert, denn er schaute mich gebannt durchs Zwielicht an, gegen das er sich recht gut abzuschirmen vermochte. Doch seine Aura war jungfräulich rein. Rein wie frisch gefallener Schnee, gleich weit vom Licht wie vom Dunkel entfernt. Er war ein Anderer, aber weder ein Lichter noch ein Dunkler.
    Sehr lange sahen wir einander an, die ganze Zeit über bis zur nächsten Station. Vermutlich hätten wir uns noch länger angestarrt, doch eine schlanke Frau fuhr den Jungen an. Offensichtlich seine Mutter. »Jegor, schläfst du denn? Wir müssen aussteigen.«
    Der Junge zuckte zusammen, sah mich ein letztes Mal mit einer undefinierbaren Sehnsucht an und trat auf den Bahnsteig hinaus. Ich blieb im Waggon.
    Eine Minute lang konnte ich mich nicht beruhigen, nach wie vor darüber nachgrübelnd, was mich an diesem Anderen so verblüfft hatte. An irgendwas erinnerte er mich. An etwas sehr Wichtiges, das sich jedoch nicht fassen ließ. Ich kam einfach nicht drauf, woran.
    Erst als ich mich wieder auf Nikolski und den Spiegel der Welt konzentrierte, ließ meine Anspannung ein wenig nach.
     
Im Spiegel sieht man, wer lebte und wie, Man
    sieht, wem in Liedern nur Lüge gedieh, Man sieht,

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