2 - Wächter des Tages
liebst, opfern? Noch dazu, da das ein sinnloses Opfer wäre? Eben deshalb schlage ich dir einen kleinen Verrat vor, der niemandem schaden wird.«
»Ein Verrat kann nicht klein sein.«
»Doch, Anton. Und ob er das kann. Treue setzt sich aus kleinen und genau kalkulierten Verrätereien zusammen. Das kannst du mir glauben - ich habe bereits lange genug in dieser Welt gelebt, um mich davon überzeugen zu können.«
Anton hüllte sich eine Weile in Schweigen. »Ich bin ein Lichter«, sagte er dann. »Ich kann das Licht nicht verraten. Mein Wesen verbietet mir das - das solltest du verstehen.«
»Niemand zwingt dich, gegen das Licht zu handeln. Außerdem würdest du mit deinem Verhalten vielen Menschen helfen. Sehr vielen, Anton. Und ist das nicht das Ziel eines Lichten Magiers? Den Menschen zu helfen?«
»Aber wie könnte ich meinen eigenen Leuten dann noch in die Augen sehen?«, fragte Anton mit einem unfrohen Grinsen. »Danach?«
»Sie werden dich verstehen«, versicherte Sebulon mit einer Überzeugung, von der nicht klar war, woher er sie nahm. »Sie werden dich verstehen und dir verzeihen. Was wären sie denn sonst für Lichte, wenn nicht?«
»Du bist ein guter Sophistiker, Sebulon. Vermutlich sogar ein weitaus besserer als ich. Aber nur weil du den Dingen einen neuen Namen gibst, ändert sich ihr Wesen nicht. Verrat bleibt immer Verrat.«
»Gut«, stimmte Sebulon unerwartet schnell zu. »Dann verrate deine Liebe. Denn letzten Endes stehst du vor der Entscheidung, wen du verrätst. Verstehst du das denn nicht? Üb Verrat an dir oder verhindere, dass sich der blutige Kreis erneut schließt. Vereitel eine unvermeidbare Schlacht zwischen den Wachen oder sieh zu, wie sie ausbricht. Willst du wirklich noch mehr Tote? Du bist mehrmals mit Andrej Tjunnikow auf Patrouille gewesen. Du bist mit der Tierfrau befreundet gewesen, mit Tigerjunges. Wo sind sie jetzt? Und wen bist du bereit, noch im Namen des Lichts zu opfern? Geh morgen nicht zur Sitzung des Tribunals, und deine Freunde bleiben am Leben. Wir brauchen nicht noch mehr Tod, Anton. Wir sind bereit, auf den Kampf zu verzichten. Alles friedlich beizulegen. Deshalb biete ich dir eine Möglichkeit an, allen zu helfen. Allen! Sowohl den Dunklen als auch den Lichten. Und sogar den einfachen Menschen. Verstehst du?«
»Ich begreife nicht, wie das Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann, wenn ich dem Tribunal fern bleibe.«
»Du bist doch mit dem Dunklen zusammengestoßen, der aus der Ukraine gekommen ist, oder? Mit Witali Rohosa?«
»Ja«, gab Anton ungern zu.
»Das ist kein Anderer.«
»Was heißt das?«, hakte irritiert Anton nach. »Kein Anderer?«
»Er ist nicht hundertprozentig ein Anderer. Er ist nur ein Spiegel. Und wird nicht mehr lange leben.«
»Was ist... wer ist... ein Spiegel?«
»Sag was.« Sebulon seufzte. »Leider nur was... Das spielt keine Rolle, Anton. Nützlicher für dich ist, etwas andres zu wissen. Wenn du nicht an der Sitzung der Inquisition teilnimmst, wird kein weiteres Blut fließen. Wenn du hingehst, wird sich ein blutiger Krieg nicht vermeiden lassen.«
»Das Nichterscheinen wird durch die Inquisition bestraft...«
»Dein Wunsch, dich nicht auf ein Duell mit Rohosa einzulassen, wird von der Inquisition als angemessen betrachtet werden. Es gab bereits Präzedenzfälle, wenn du willst, kann ich dir sogar die entsprechenden Dokumente vorlegen. Aber du kannst auch einfach meinem Wort vertrauen. Noch habe ich dich nie getäuscht.«
»Dieses noch gefällt mir...«
Sebulon lächelte - allein mit einem Mundwinkel. »Was willst du? Schließlich bin ich ein Dunkler. Ich halte es nicht für ratsam, ohne Grund zu lügen.«
Sebulon erhob sich, und auch Anton stand auf.
»Denk darüber nach, Anton. Denk darüber nach, Lichter. Und vergiss nicht: Du entscheidest über deine Liebe und das Leben deiner Freunde. Manchmal verhält es sich nämlich so: Um seinen Freunden zu helfen, muss man zunächst seinem Feind helfen. Damit solltest du dich abfinden.«
Mit raschen Schritten ging Sebulon erst aus dem Zimmer, dann aus der Wohnung. In diesem Moment heulte im Zwielicht das Wachzeichen widerwärtig auf, während die Maske des Choyong an der Wand eine grauenvolle Grimasse zog. Nachdem Anton sich lustlos um das Alarmsystem gekümmert hatte, versuchte er seine Gedanken zu ordnen.
Sollte er Sebulon glauben oder nicht?
Mit Swetlana zusammenbleiben oder nicht?
Geser anrufen und ihm alles erzählen oder schweigen?
Jede Auseinandersetzung,
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