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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Augen.
    Der Auspuff von Schagrons BMW fauchte zwanzig Meter von der Tagwache entfernt, direkt unter dem Halteverbotsschild. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz.
    »Guten Morgen.«
    »Ich hoffe, dass es ein guter wird«, brummte Schagron. »Fahren wir?«
    »Na, wenn wir auf niemanden mehr warten, sollten wir fahren.«
    Schweigend fädelte sich Schagron in den dichten Strom von Autos ein.
    In der Stoßzeit durch das verschneite Moskau zu fahren -das hat es in sich. Schagron zähmte durchs Zwielicht immer wieder die aggressivsten Fahrer. Die hätten uns sonst unablässig geschnitten, auf die Nachbarspur gedrängt und uns unerwartet auftauchende Lücken vor der Nase weggeschnappt. Für alle Fälle hatte ich mich angeschnallt. Schagron presste etwas zwischen den Zähnen hervor. Vermutlich etwas Unflätiges.
    Nach der schlaflosen Nacht überfiel mich das unwiderstehliche Bedürfnis, in süßen Schlummer zu fallen. Verstärkt wurde das durch den Sitz des hochwertigen deutschen Wagens, der dazu besonders einlud. Wenn ich Musik gehört hätte, wäre ich eingeschlafen und in die Welt des Traums hinübergeglitten. Aber Musik wollte ich jetzt nicht hören. So blieb ich in dieser Welt, die von dem Brummen Dutzender von Motoren, dem leisen Surren der eingeschalteten Klimaanlage, dem schrillen Aufheulen der Autohupen und dem Knirschen des schmutzig grauen Schneebreis unter den Reifen durchdrungen war.
    Hätten wir die Metro genommen, wären wir viel früher da gewesen. So krochen wir eine halbe Stunde später immer noch durch die verstopfte Ostoshenka in Richtung Wernadski-Prospekt. Der Stau wuchs an und legte sich wie ein Komet einen soliden Schweif zu, der sich zum Zentrum Moskaus hin erstreckte.
    »Verdammter Mist«, zischte Schagron verärgert. »Jetzt sitzen wir fest.«
    »Öffnen wir ein Portal.« Ich zuckte mit den Schultern.
    Schagron sah mich mit einem seltsamen Blick an. »Witali! Wir fahren zu einer Sitzung des Tribunals unter dem Vorsitz der Inquisition! Dein Portal würde zwei Kilometer vor dem Ziel verrecken!«
    »Ach ja«, erwiderte ich unbekümmert. »Stimmt. Hatte ich ganz vergessen.«
    Natürlich hätte ich auch selbst darauf kommen können. Magische Handlungen sowie der Gebrauch von Magie sind während der Arbeit des Tribunals verboten. Das Ich in mir soufflierte mir beflissen, es sei früher zu Verstößen gekommen, jedoch nur in Jahren grausamer Umbrüche, die ihrerseits unmittelbar mit den Gesetzesverstößen selbst verbunden waren.
    Allerdings lebten wir jetzt auch in Zeiten des Umbruchs. Das Ende des Jahrtausends. Der Wendepunkt. Im Sommer hatten die Leute der Sonnenfinsternis mit der gleichen Angst entgegengesehen, wie sie vor Erdbeben in der Türkei erzitterten... Doch nichts war geschehen, alle hatten es überstanden.
    Sicher, indem wir etwas überleben, verändern wir uns alle ein wenig. Die Anderen, vor allem aber die Menschen.
    »Scheiße!«, schrie Schagron und riss mich aus meinen Gedanken.
    Ich konnte noch nicht einmal mehr durch die Frontscheibe sehen. Es knallte dumpf, gleichzeitig schleuderte es mich nach vorn, etwas presste sich brennend in meinen Brustkorb, und der Sicherheitsgurt schnitt mir schmerzhaft in den Oberkörper. Mit einem widerlichen dünnen Pfiff blies sich am Steuer der Airbag auf, während Schagron, der mit Gesicht und Brust über das Ding schoss, ans Wagendach und das obere Ende der Scheibe knallte. Auf der Straße klirrte es ekelhaft, kleine Glaskrümel flogen durch die Luft. Sie fielen lautlos in den Schnee, trommelten jedoch wild auf die Karosserien der Autos neben uns ein.
    Und wie zum Spott drängte uns etwas rückwärts. Ins Heck, in den Kofferraum.
    Ein paar Sekunden lang, die vielleicht dem Start eines Raumschiffs glichen, wurde ich nicht länger zermalmt oder geschleudert. Ein glückseliger Augenblick der dynamischen Ruhe.
    Schagron rutschte über das Steuer zurück in seinen Sitz und hinterließ eine Blutspur auf dem Airbag. Offenbar war auch noch sein Arm gebrochen. Der Dummkopf hatte sich nicht angeschnallt ... Wie lange würde es jetzt dauern, bis er wiederhergestellt war?
    Um uns herum heulten die Autohupen los.
    Mit gemischten Gefühlen schnallte ich mich ab und stieß die Tür auf. Ich stieg aus und stand auf der mit überall herumliegenden Glasscherben und festgestampften Schnee überdeckten Fahrbahn.
    Ein roter Niwa war uns seitlich in die Motorhaube geknallt. Und den zerknautschten, förmlich angebissenen Kofferraum hatte die Schnauze eines gepflegten

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