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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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die funkelnde Seite eines in der Nähe stehenden Autos und versuchte mich zum Ende des Staus durchzuschlängeln. Das war am Gartenring.
    Die für kleine Menschen gedachte und an den warmen japanischen Asphalt, nicht aber an diese Moskauer Eisbahn gewöhnte Honda ließ sich recht einfach handhaben. Es gelang mir auch ganz gut, mich zwischen den Autos hindurchzuschlängeln. Aber schnell war das Mokick nicht - mit Mühe brachte ich es auf dreißig Stundenkilometer. Mir wurde klar, dass ich nicht mehr rechtzeitig ankommen würde. Selbst dann nicht, wenn ich die willige Honda stehen lassen und in die nächste Metro steigen würde, denn von der Metrostation Universität bis zum Hauptgebäude mit dem Nadelturm war es noch weit. Natürlich könnte ich einen der Autofahrer mit einem Zauber belegen, doch wo war die Garantie, dass wir weiteren morgendlichen Staus entkommen würden? Vage erinnerte ich mich daran, dass die Straßen im Universitätsviertel breiter waren, aber sicher war ich mir dessen nicht. Wenn ich weiter mit der Honda fahren würde, sicherte ich mir wenigstens bis zum Ziel meine Mobilität. Andererseits hatte ich nur eine grobe Vorstellung vom Weg. Ich bin nun mal kein Moskauer. Ob ich auf meinen bislang so verlässlichen inneren Gefährten hoffen konnte? Hoffen konnte ich, gewiss. Aber möglicherweise ließ er mich gerade jetzt im Stich? Im entscheidenden Moment? Normalerweise läuft das ja immer so.
    Ich lauschte in mich hinein. Der kalte, mit Abgasen geschwängerte Wind schlug mir ins Gesicht. Moskau atmete Kohlenstoffdioxyd ...
    Mein treuer Helfer schlief offenbar.
    Den Gartenring und die Metrostation Park Kultury ließ ich hinter mir. Doch als vor mir das Gebäude der Metrostation Frunsenskaja aufragte, beschloss ich, mich unterirdisch weiter fortzubewegen. Die Zeit drängte.
    Kaum war ich die ersten Stufen zum Eingang der Metro hinuntergegangen, war das Mokick schon weg. Der Motor grunzte kurz verängstigt auf, und jemand mit geschickten Fingern setzte die tüchtige und ergebene japanische Mechanik in Bewegung, um rasch in den Seitengässchen zu verschwinden. Ach, ihr Menschen ... Die Lichten sorgen sich um euch, verteidigen euch, passen auf euch auf, aber ihr wart schon immer Vieh und werdet es auch immer sein. Tiere ohne Gewissen und Mitgefühl. Ihr setzt die Ellenbogen ein, stehlt, verratet, schlagt euch die Plauze voll, und wo ihr lang kommt, wächst kein Gras mehr. Wie ekelhaft...
    Über das Drehkreuz sprang ich einfach hinüber - im Zwielicht, als unsichtbarer Schatten. Ich hatte keine Zeit, noch ein Ticket zu kaufen und es in den Schlitz des Entwerters zu schieben. Halb so wild, davon würde das Land nicht in Armut versinken.
    Auch die Rolltreppe eilte ich hinunter, ohne aus dem Zwielicht zu treten. Ich sprang auf das langsam dahinkriechende Geländer und schoss nach unten, wobei ich in dem zähen grauen Brei kaum ein Bein vors andre zu setzen vermochte. Unten wollte gerade ein Zug abfahren. Während ich noch darüber nachdachte, ob er in die richtige Richtung fuhr, schlossen sich die Türen. So etwas hielt mich natürlich nicht auf. Und ins Zentrum fuhr er auch nicht.
    In den Waggon gelangte ich durch die Türen hindurch, durchs Zwielicht. Die verwunderten Fahrgäste schob ich leicht auseinander, als ich praktisch aus dem Nichts auftauchte.
    »Oh!«, sagte jemand.
    »Sagen Sie, ist das hier Moskau?«, platzte ich aus irgendeinem Grund heraus. Vermutlich aus dummem, albernem Übermut.
    Niemand antwortete mir. Auch gut. Dafür gab es sofort deutlich mehr freie Plätze um mich herum. Ich langte nach einem Griff und schloss die Augen.
    Die Sportiwnaja. Die Sperlingsberge, wo der Zug nicht hielt. Hier kam er kaum vorwärts. Durch die Ritzen zwischen den vorgenagelten Metallplatten funkelten ab und zu elektrische Lichter hindurch und fiel graues Dämmerlicht des beginnenden Morgens herein. Es tagte schon...
    Endlich die Metrostation Universität. Die lange und proppenvolle Rolltreppe. Abermals musste ich warten. Das war's, jetzt kam ich bestimmt zu spät.
    Oben war es schon fast hell. Als mir endgültig klar wurde, dass ich es bis zum Sitzungsbeginn nicht mehr schaffen würde, erfasste mich mit einem Mal völlige Ruhe, und ich beeilte mich nicht länger.
    Nicht die Spur. Ich kramte die Kopfhörer aus der Tasche, stellte den Player mit der Minidisc von Anton Gorodezki an und versuchte zu trampen. »Es ist Zeit«, verkündete der Inquisitor leise. »Alle, die es nicht rechtzeitig geschafft haben, werden

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