Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
hatten. Vielleicht amüsierte sie die Zeile mit dem Wort »verboten«, oder sie malten sich mit ihrem kindlichen Verstand ein echtes Abenteuer aus: auf einen Dachboden hinaufkraxeln, wo ein Engel gelandet war ... Mir schoss durch den Kopf, dass das Lied zu uns Anderen passte. Und zwar sowohl zu den Dunklen wie auch zu den Lichten.
    Wirklich, ein schönes Lied. Nur nicht ganz zutreffend. Der Junge, der später zu uns kommen würde, hätte sich die Flügel nämlich angeschnallt. Oder sie zumindest anprobiert.
    Denn für uns existiert das Wort »verboten« nicht.
    »Ein schönes Lied. Nur sehr ernst«, sagte Galina. »Von wem ist das? Von dir?«
    Lachend schüttelte Igor den Kopf. »Nein! Du hast Ideen. Das ist von Juli Burkin. Ein Sänger, der leider nicht allzu bekannt ist.«
    »Igorjok ... kannst du vielleicht noch eins von ... von unsern spielen?« Ohne falsche Scham kokettierte Galina mit ihm. Die kleine Idiotin...
    »Klar!«, ließ sich Igor bereitwillig darauf ein.
    Und schlug in die Saiten, fand zu einem kräftigen Rhythmus und sang was vom »allerallerbesten Pionierlager auf der Welt voller Lieder und Freunde«.
    Das ist es, was sie brauchen! Bereits bei der zweiten Strophe fielen alle ein, denn das nächste Wort ließ sich ohne Mühe erahnen. Sie sangen vom Meer, in dem sie unbedingt mit dem Pionierleiter baden müssten, denn er »liebt die Spritzer und den Sand« auch, wie sie mit besonderer Begeisterung intonierten. Alle waren zufrieden, selbst Galina und ihre halbwüchsigen Mädchen. Irgendwann kam Igor zu einem am Strand gefundenen »Stein mit einem Loch darin« - als ob man sich auch einen Stein mit einem Loch außen dran vorstellen könnte. Ich bemerkte, wie etliche Kinder zu ihrem um den Hals baumelnden Stein griffen.
    Auch das noch! Treu ergebene Adepten des Hühnergottes! Ob im Artek jemand eigens dafür angestellt war? Für die Herstellung von gelochten Steinen? Da sitzt so ein unrasierter betrunkener Kerl in seiner Werkstatt, um von früh bis spät ein kleines Löchlein in die Steine zu bohren und sie abends über den Strand zu verteilen, zur Freude dieser Blagen?
    Falls nicht, wäre das ein echtes Manko!
    Igor wirkte genauso lustig wie die Gören. Auch das Lied trug er mit Enthusiasmus vor, nur ... Sein ganzer Enthusiasmus war für die Kinder bestimmt. Igor unterhielt sie. Machte ihnen eine Freude. Ihm selbst bedeutete das Lied gar nichts.
    Ich entspannte mich.
    Immerhin fand er mich sympathisch.
    Und ich ihn auch...
    Igor sang noch ein paar andre Lieder. Dann griff Galina zur Gitarre. Eignete sie sich gewaltsam an - doch das Instrument leistete so gut es konnte Widerstand, weigerte sich standhaft, wohlklingende Töne von sich zu geben, was die Gruppenleiterin jedoch nicht davon abhielt, die alte Romanze »Ihr Freunde, die Hände zum Kreis« und ein weiteres Pionierlied vorzutragen. Selbst der Junge aus der vierten Gruppe, der es kaum schaffte, die straffen Metallsaiten hinunterzudrücken, spielte besser.
    Dann klatschte Igor in die Hände. »Genug! Wir löschen jetzt das Lagerfeuer und gehen zum Abendbrot!«
    Wie aus dem Nichts tauchten zwei Eimer Wasser auf, und er goss sie über das niedergebrannte Holz.
    Ich stand da, beobachtete seine gemessenen, zielsicheren Bewegungen. Igor schien das ganze Leben nichts andres gemacht zu haben, als Lagerfeuer zu löschen. Wahrscheinlich machte er alles so - Gitarre spielen, Lagerfeuer löschen, am Computer arbeiten, Frauen streicheln. Präzise, akkurat. Zuverlässig. Mit uneingeschränkter Garantie.
    Vom Holz stieg brennender weißer Dampf auf. Die Kinder sprangen zur Seite. Und plötzlich fragte Igor, ohne mit dem Gießen aufzuhören: »Schwimmst du gern nachts im Meer, Alissa?«
    Ich erschauderte.
    »Ja.«
    »Ich auch. Um eins sind die Kinder still, dann komme ich noch einmal zum Strand, um zu baden. Dort, wo wir heute früh schon waren. Wenn du willst, komm doch auch.«
    Einen Moment lang wusste ich nicht mehr, wo ich war. Ein Gefühl, das ich völlig vergessen hatte! Nicht ich verführe einen Mann, sondern er mich!
    Igor schüttete das restliche Wasser über die Feuerstelle und sah mich an. Lächelte. »Es würde mich sehr freuen, wenn du kommst. Nur... versteh mich nicht falsch.«
    »Ich glaube, ich verstehe dich ganz gut«, erwiderte ich.
    »Kommst du?«
    Zu gern hätte ich ihm mit einem Nein geantwortet. Nur um ihn scharf zu machen. Aber letzten Endes wäre es dumm, sich wegen eines kurzen Spaßes um das ganze Vergnügen zu bringen.
    »Wahrscheinlich

Weitere Kostenlose Bücher