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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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schon«, meinte ich.
    »Ich werde auf dich warten«, entgegnete Igor gelassen. »Gehen wir? Ein Glas warme Dickmilch leistet müden Erziehern abends übrigens gute Dienste. Danach schlafen die Kinder tief und fest.«
    Sein Lächeln war einfach hinreißend. Um halb elf mussten die Kinder im Artek ins Bett.
    Feierlich ertönten aus den Lautsprechern die Hörner, und eine sanfte Frauenstimme wünschte allen eine gute Nacht. Ich stand vor dem Spiegel, schaute mein Bild an und versuchte zu verstehen, was mit mir passierte.
    Hatte ich mich verliebt?
    Nein, das konnte nicht sein! Ich liebte Sebulon. Ich liebte den höchsten Dunklen Magier Moskaus! Einen der wenigen, die tatsächlich das Schicksal der Welt bestimmen können. Was ist im Vergleich zu ihm ein normaler Mensch? Selbst wenn er noch so sympathisch ist, selbst wenn er eine noch so gute Figur hat, selbst wenn er so idiotisch zuverlässig ist, dass es bei jeder Bewegung aus ihm heraustrieft? Ein normales Männchen der menschlichen Gattung. Mit den normalen Gedanken eines Männchens. Für einen Urlaubsflirt keineswegs zu verachten - aber für mehr auch nicht!
    Ich konnte mich doch nicht wirklich in ihn verliebt haben?
    In meiner Tasche fiepte das Mobiltelefon, und ich erzitterte. Meine Mutter? Kaum, sie ist wahnsinnig sparsam und ruft mich nie auf dem Handy an.
    Ich holte es heraus und nahm den Anruf entgegen.
    »Hallo, Alissa.«
    Sebulons Stimme klang müde. Zärtlich und müde, als reichten seine Kräfte kaum noch für diesen Anruf, auf den er aber unter keinen Umständen verzichten konnte ...
    »Hallo«, flüsterte ich.
    »Du machst dir über etwas Sorgen, das spüre ich. Was ist los, mein Mädchen?«
    Ihm konnte man nichts vormachen. Sebulon weiß alles... Zumindest alles, was er wissen will.
    »Ich habe vor, mir für den Monat hier einen Freund zuzulegen ...«, hauchte ich ins Handy.
    »Ja und?«, meinte Sebulon verwundert. »Alissa ... ich bin nicht auf deinen Hund eifersüchtig. Und auf einen Menschen, mit dem du ein bisschen Spaß hast, werde ich ganz bestimmt auch nicht eifersüchtig sein.«
    »Ich habe keinen Hund«, erwiderte ich düster.
    Sebulon lachte los, und all meine dummen Gedanken verflüchtigten sich.
    »Auch gut! Es interessiert mich nicht, ob du einen Hund hast. Es interessiert mich nicht, ob du dir einen menschlichen Liebhaber zulegst. Mach dir keine Gedanken, Kleines. Erhol dich. Sammel Kraft. Amüsier dich, so gut es geht. Du kannst das ganze Artek verführen, einschließlich der Pioniere und den Opas von Klempnern. Sei nicht so dumm...«
    »Ich benehme mich wie ein Mensch, oder?« Scham packte mich.
    »Das ist nicht schlimm. Das geht wieder vorbei, Alissa. Sammel Kraft... nur...« Sebulon verstummte kurz. »Gut. Nichts weiter.«
    »Nein, sag's mir!« Abermals spannte sich alles in mir an.
    »Ich glaube an deine Umsicht.« Sebulon zögerte. »Alissa, übertreib es nicht, ja? Dein Aufenthalt ist dank einem alten Abkommen der Wächter des Tages und der Nacht möglich. Du hast nicht das Recht, viel Kraft auf einmal zu schöpfen. Sondern nur kleine Portionen. Verwandel dich nicht in einen banalen, Energie saugenden Vampir. Du bist im Urlaub, nicht auf der Jagd. Wenn du eine bestimmte Grenze überschreitest, verlieren wir das Artek für immer.«
    »Das verstehe ich doch«, sagte ich.
    Noch lange würde ich meinen Fehler mit dem Kraftprisma aufs Butterbrot geschmiert bekommen...
    Ich erging mich nicht in Versprechen, die ich im Namen des Dunkels und meiner eigenen Kraft abgab. Diese Versprechen wären leer, das Dunkel kümmert sich nicht um Kleinigkeiten, und Kraft hatte ich im Moment keine. Ich versprach mir lediglich, auf gar keinen Fall die abgesteckte Grenze zu überschreiten und weder Sebulon noch die ganze Tagwache zu hintergehen.
    »Dann erhol dich, mein Mädchen.« Ich hatte den Eindruck, in Sebulons Stimme läge leichte Trauer. »Erhol dich.«
    »Könntest du nicht herkommen? Wenigstens kurz?«, fragte ich ohne jede Hoffnung.
    »Nein. Ich habe viel zu tun, Alissa. Ich fürchte, in den nächsten drei, vier Tagen werden wir überhaupt nichts voneinander hören. Aber mach dir deshalb keine Sorgen. Ein alter, langweiliger Schuft, der sich mit den Problemen der Welt herumschlägt - ist das wirklich ein Partner für eine junge Hexe, die Urlaub macht?« Er lachte.
    Im Allgemeinen versuchten wir, solche Sachen nicht am Telefon und schon gar nicht übers Handy zu besprechen, wo sämtliche Gespräche abgehört und aufgezeichnet werden. Selbst wenn

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