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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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umgehauen: Gulnara träumte, sie kümmere sich um ihren alten Großvater. Sie schwirrte durch die Küche, goss ihm Tee ein, fragte ihn die ganze Zeit besorgt, ob sie noch etwas für ihn tun könne ... Diese orientalische Kultur! Lokum mit einem Spritzer Arsen!
    Wenn Igor nicht gewesen wäre ...
    Ich brauchte nur dreißig Minuten, eine Stunde zu warten, und eine meiner achtzehn Spenderinnen würde einen weiteren schrecklichen Traum haben.
    Aber...
    Ich schwankte nicht lange.
    In der nächsten Nacht würde ich mir alles nehmen, was ich kriegte. Bis zur Neige. Heute konnte ich mich ruhig entspannen. Mich in der Rolle einer normalen Frau versuchen.
    Ich schloss die Tür fest zu und sprang hinaus in die Sommernacht. Das Artek schlief. Entlang der Wege leuchteten vereinzelte Laternen, am Himmel hing ein fast voller Mond.
    Solche Nächte lieben die Tiermenschen. Dann sind sie in Hochform, verwandeln sich leicht und ohne Schwierigkeiten, werden von einer berauschenden Lebensgier erfasst, der Lust zu jagen, lebendiges Fleisch in Stücke zu reißen, ein Opfer zu belauern und in die Enge zu treiben. Natürlich gehören sowohl die Vampire als auch die Tiermenschen zur untersten Kaste der Dunklen. Und die meisten von ihnen sind wirklich dumm und primitiv. Aber ... in solchen Nächten beneide ich sie ein bisschen. Um ihre primitive, aus den tierischsten Schichten der Natur stammende Kraft. Um die Fähigkeit, sich in ein Tier zu verwandeln - und damit im Handumdrehen die ganzen idiotischen Gefühle eines Menschen hinter sich zu lassen.
    Ich lachte und lief den Pfad entlang, breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Himmel. Selbst wenn ich die Fähigkeiten einer Anderen noch nicht zurückerlangt hatte, brodelte die frische Kraft in meinem Blut, und nicht einmal zauderte ich, keinen Moment schwankte ich bei der Wahl meiner Richtung. Es war wie vor der Initiierung, als uns überraschend Irina Andrejewna - eine »alte Freundin deiner Mutter« - besuchte. Meine Eltern verhielten sich ihr gegenüber irgendwie seltsam, befangen, das spürte ich, während Irina Andrejewna mich immer wieder ansah ... mit einem seltsamen Blick, als taxiere sie mich, und mit einem leicht herablassenden Lächeln. Dann mussten meine Eltern plötzlich dringend irgendwohin und ließen mich mit »der alten Freundin« den ganzen Abend allein. Da erzählte meine zukünftige Mentorin mir alles. Dass sie meine Eltern zum ersten Mal in ihrem Leben sieht und sie einfach verzaubert hat. Und von den Anderen, vom Zwielicht, das ihnen magische Kraft verleiht, und davon, dass von meinem ersten Eintritt ins Zwielicht abhänge, was ich werde: eine Lichte oder eine Dunkle ... Davon, dass ich eine zukünftige Andere sei. Dass mich ein »sehr, sehr starker Zauberer« entdeckt habe ... Später habe ich häufig darüber nachgedacht, ob das nicht Sebulon war, habe ihn aber nie danach gefragt...
    Damals schwankte ich lange, ich Idiotin. Mir gefiel die Bezeichnung Dunkle nicht. In allen Märchen und Filmen sind die Dunklen immer die Schlechten. Sie herrschen über die Welt, befehlen Ländern und Armeen, fressen jeden Dreck, reden mit schrecklichen, ekelhaften Stimmen und verraten alles und jeden. Und noch etwas: Am Ende verlieren sie immer.
    Irina Andrejewna lachte lange, als ich ihr meine Vorbehalte gestand. Sie erklärte mir, all diese Märchen hätten sich die Lichten ausgedacht. Die Dunklen beschäftigen sich in der Regel nicht mit solchem Quatsch. Die Dunklen, das seien diejenigen, die Freiheit und Unabhängigkeit wollen, die weder nach Macht strebten noch ihrer Umgebung ihre dummen Wünsche aufzwängten. Sie demonstrierte mir einen Teil ihres Könnens - und ich erfuhr, dass meine Mutter seit langem meinen Vater betrog und dass mein Vater längst nicht der mutige und starke Mann war, für den ich ihn immer gehalten hatte, und dass meine besten Freundin Wika die schlimmsten Dinge über mich erzählte ...
    Das von meiner Mutter wusste ich sowieso. Seit ich zehn war. Nur versuchte ich, nicht an sie und Onkel Witja zu denken. Das, was ich über meinen Vater erfuhr, warf mich aus der Bahn. Und das über Wika brachte mich auf die Palme. Das musste ich ihr heimzahlen. Heute lache ich darüber, aber mit zehn Jahren zu erfahren, dass mein schrecklichstes Geheimnis - dass ich bis zur zweiten Klasse ins Bett gepinkelt hatte - von meiner Freundin an unseren Klassenkameraden Romka weitergetratscht worden war ... Einfach fürchterlich! Und ich hatte mich schon

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