Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Wahrscheinlich hatte er schon gebadet. An irgendjemanden erinnerte er mich ... vielleicht an einen fröhlichen Troubadour aus einem Kindermärchen, vielleicht an einen Prinzen, der sich als Troubadour verkleidet hatte ...
    »Das Wasser ist warm«, sagte Igor. »Wollen wir?«
    In dem Moment begriff ich, dass ich zu schnell zum Strand gekommen war. »Igor ... du wirst mich auslachen ... Ich kann nicht schwimmen gehen. Ich habe meinen Badeanzug vergessen.«
    Er dachte kurz nach. »Schämst du dich?«, fragte er dann ruhig. »Oder hast du Angst, dass ich glaube, du hättest das mit Absicht gemacht?«
    »Davor habe ich keine Angst, aber ich möchte nicht, dass du es denkst.«
    »Tu ich auch nicht«, erwiderte Igor. Und stand auf. »Ich gehe jetzt ins Wasser. Komm doch auch.«
    Er zog sich unmittelbar am Wasser aus, rannte hinein und tauchte praktisch sofort unter. Ich schwankte nicht lange. Mit Sicherheit hatte ich nicht daran gedacht, Igor auf so primitive Weise zu verführen. Den Badeanzug hatte ich wirklich einfach in meinem Zimmer vergessen. Aber mich jetzt zu schämen, noch dazu vor einem Menschen - dazu gab es keinen Grund!
    Das Wasser war warm, die Wellen zärtlich wie die Berührung der Hände eines Geliebten. Ich schwamm Igor hinterher, und das Ufer entfernte sich, verlor seine Konturen, nur die Lichter der Laternen hoben das Artek in der Nacht hervor. Wir schwammen weit über die Boje hinaus, ließen das Ufer wohl einen Kilometer hinter uns. Ich erreichte Igor, nun schwammen wir nebeneinander, schweigend, ohne ein Wort zu sagen. Nicht in einem Wettkampf, sondern mit gleichem Tempo.
    Schließlich hielt er inne und sah mich an.
    »Das reicht«, sagte er.
    »Bist du müde?«, fragte ich leicht verwundert. Ich hatte geglaubt, er könne ewig schwimmen ... während ich ... überhaupt ohne weiteres das Schwarze Meer durchqueren und in der Türkei aus dem Wasser steigen könnte.
    »Nein, ich bin nicht müde. Aber die Nacht ist trügerisch, Alissa. Falls etwas passieren sollte, könnte ich dich genau diese Strecke zurück ans Ufer ziehen.«
    Nataschas Worte über seine Zuverlässigkeit fielen mir wieder ein. Ich sah ihm ins Gesicht und begriff, dass er weder den Helden spielen wollte noch scherzte. In der Tat: Er hatte die Situation in jedem Augenblick unter Kontrolle. Allzeit bereit, mich zu retten.
    Was bist du doch für ein komischer Mensch. Morgen früh oder morgen Nacht werde mir ich noch ein wenig Kraft holen - und dann kann ich mit dir machen, was ich will. Im Notfall rettest dann nicht du mich, sondern ich dich ... du großer, kräftiger, selbstsicherer, zuverlässiger Mann... Auch wenn du jetzt an deine Bereitschaft glaubst, mich zu beschützen und zu retten, wie ein Junge, der neben seiner Mutter eine dunkle Straße entlangläuft und sagt: »Keine Angst, Mam, ich bin ja bei dir...«
    Doch selbst wenn diese Einstellung typisch für die Lichten ist, angenehm ist es schon...
    Langsam schwamm ich zu Igor. Dicht heran. Umarmte ihn. »Rette mich«, flüsterte ich.
    Das Wasser war warm, aber sein Körper war noch heißer als das Wasser. Er war genauso nackt wie ich. Wir küssten uns, tauchten immer wieder unter, um dann wieder aus dem Wasser zu schießen, gierig nach Luft zu schnappen und die Lippen des andern zu suchen.
    »Ich will ans Ufer«, flüsterte ich. Und wir schwammen, berührten uns ab und an, hielten hin und wieder inne, um uns lange zu küssen. Auf meinen Lippen lag der Geschmack von Salz und von seinen Lippen, mein Körper schien zu brennen, das Blut pochte in meinen Schläfen. So könnte ich auch ertrinken ... vor Erregung, Ungeduld und dem Wunsch, ihm nahe zu sein.
    Fünf Meter vorm Ufer, wo das Wasser bereits flacher wurde, hob Igor mich hoch. Leicht, als sei ich nur eine Feder, trug er mich zu unserer Kleidung und bettet mich auf dem Strand. Ich spürte ein Handtuch unter meinem Rücken, über meinem Kopf prangten die Sterne.
    »Komm ...«, flüsterte ich und spreizte die Beine. Wie ein leichtes Mädchen, wie eine professionelle Hure. Ich, eine Hexe der Moskauer Tagwache, die kein Geringer als Sebulon liebt!
    Doch das spielte im Moment keine Rolle für mich.
    Es gab nur die Nacht, die Sterne, Igor...
    Er ließ sich neben mir nieder, seine rechte Hand verschwand unter meinem Rücken und presste die Stelle zwischen den Schulterblättern, während die linke über meine Brust strich. Kurz sah er mir in die Augen - als zweifle er, als zögere er, als versenge ihn nicht derselbe Wunsch nach Nähe wie mich.

Weitere Kostenlose Bücher