209 - Die fliegende Stadt
standhafte Männlichkeit gerettet – eine zufällige Berührung von Crellas Schenkel und seine Reaktion darauf hatte ihren Grimm in ein Schmunzeln verwandelt.
»Noch nicht«, hatte sie zur Priesterin gesagt. »Noch ist sein Dienst mehr wert als sein Blut.«
Jakk Son verbeugte sich und schwang seinen Tropenhelm dabei übertrieben ausladend. »Huldvolle Mistress, Herrscherin über Toulouse-à-l’Hauteur, was ich dir bringe, ist nicht in Jeandors aufzuwiegen. Und ich bin wahrlich kein von Habgier getriebener Mann, aber…«
»Schweig!« Crella schlug ihre Handflächen auf die breiten Armlehnen des Stuhls, dass es staubte. Wie immer hatte sie in Kaolinpuder gebadet, sich die farblose Reinheit angezogen wie eine zweite Haut. Darüber wallte ein Hauch von einem Kleid, besetzt mit Weißfischschuppen.
Der Safaariman ignorierte ihren Ausbruch und wies seine schwarzhäutigen Helfer an, die Transportkiste zu öffnen.
Gebanntes Schweigen legte sich über den Raum. Alle Augen waren auf das Dunkel im Inneren der Kiste gerichtet.
Ein Schatten hockte dort zwischen Leinensäcken und Stroh.
Jakk Son klopfte ungeduldig gegen die Seite. »Los, los, raus mit dir.«
Der Schatten gehorchte. Robbte zur Öffnung und schob seine gefesselten blassen Beine aus dem Verschlag.
Hau Mikh biss die Zähne zusammen. Doch als der Fremde aufstand und mit seiner weißen Haut und dem langen weißen Haar selbst das Kreidepulver an den Wänden ausstach, wusste er, dass sein schlimmster Albtraum Gestalt angenommen hatte.
»Wie hast du das geschafft, Hexenmeister?«, zischte er.
»Aspergina mag Intrigen spinnen und Gift mischen können, aber einem Phantom eine Seele einzuhauchen vermag sie nicht.«
Der Albino, dessen Hände im Rücken gefesselt waren, blickte einen Moment lang verwirrt um sich, fixierte dann Jakk Son, blinzelte ein paar Mal und wandte sich anschließend der Mistress zu, die sprachlos und mit leuchtenden Augen auf ihren lang ersehnten Auserwählten starrte.
»Ich bin Rulfan, Sohn von Sir Leonard Gabriel aus Salisbury in Britana. Dieser Mann dort hat mich und meinen Freund Maddrax ohne Grund gefangen genommen und will mich offenbar als Sklave verkaufen. Ich bin aber ein freier Mann und werde mir diese Freiheit mit Gewalt erkämpfen, solltet ihr mich nicht freiwillig gehen lassen.«
Hau Mikhs Herz hämmerte wie wild. Dieser Albino stammte aus der nördlichen Welt! Er wusste nichts von Crellas Wahn, war also nicht von Aspergina geschickt. Konnte sein Aussehen wirklich Zufall sein? Dann muss ich etwas unternehmen.
Während Hau Mikh fieberhaft nach einer Lösung suchte, stand die Mistress auf und ging auf den weißen Mann zu.
»Orzowei… oder Rulfan, wie du dich jetzt nennst, ich habe lange auf dich gewartet. Sehr lange. Ich werde nicht auf deine Dienste verzichten! Du bist nicht der Erste, den meine Priesterin zähmen wird.«
Crella lächelte wie jemand, der die Wildheit eines Tieres genießt, kurz bevor er dessen Willen bricht. Ihre Hände glitten begehrlich über Rulfans muskulöse Oberarme und Brust.
Dieser Albino war ein wahrlich durchtrainierter Kämpfer, dazu voller Stolz.
Hau Mikh sah förmlich, wie ein wacher Verstand hinter diesen roten Augen arbeitete. Dann plötzlich ein Wandel im Mienenspiel – die Haltung des Auserwählten veränderte sich, wurde weicher.
»Von welchen Diensten sprichst du? Vielleicht können wir uns friedlich einigen?«
»Wenn hier mit irgendwem verhandelt wird, dann mit mir!«, rief Jakk Son dazwischen und versperrte seinem Gefangenen mit dem Spazierstock den Weg.
Die Mistress versteifte sich ob der Unverfrorenheit dieses Ambassai im Tsebrakostüm. In Hau Mikh glomm bereits der Hoffnungsfunke, sie könnte den Safaariman kurzerhand aufschlitzen lassen, als die Mamissi eintraf, den Albino anstarrte und einen spitzen Schrei ausstieß. Wie ein wild gewordener Monkee rannte sie mit geschwenkter Fetischrassel um Jakk Son und den Albino herum und wandte sich schließlich an Crella.
»Überlass ihn mir!«, wisperte die Voodoofrau der Mistress ins Ohr. »Ich mach ihn dir zu einem braven Gefährten, einem Schoßhündchen, das dir die Füße leckt.«
»Vielleicht mag ich ja gerade seine Widerspenstigkeit«, entgegnete Crella, trat vor und fuhr mit ihrem Handrücken über die blasse Wange ihres prophezeiten Liebhabers.
Hau Mikh war hin und her gerissen. Was wäre wohl die beste Möglichkeit, diese weiße Missgeburt aus dem Weg zu schaffen? Sollte Aspergina ihm mit ihren Mittelchen den Geist rauben,
Weitere Kostenlose Bücher