209 - Die fliegende Stadt
sodass er ihn in ein paar Wochen, genau wie die anderen Liebhaber, unauffällig entsorgen konnte? Aber dann wäre es vermutlich zu spät. Die Mistress war eine fruchtbare Frau. Vielleicht war es klüger, diesem Krieger des Nordens zur Flucht zu verhelfen? Aber dafür brauchte der seinen klaren Verstand.
»Das wäre unvernünftig! So roh, wie er ist, stellt er eine Gefahr dar. Ich werde dafür sorgen, dass du unendliche Freuden mit ihm genießen wirst.« Die Worte der Mamissi troffen vor süßer Verheißung!
Rulfan ließ sie nicht aus den Augen. Offenbar hatte er seinen wahren Feind bereits identifiziert.
Hau Mikh entschloss sich zu einem Vorstoß. »Ich meine, lass ihm seinen Geist und seine Stimme. Er ist nicht irgendein Stück Fleisch, das stumpf seinen Zweck erfüllen soll. Dieser hier soll Kaiserliches erschaffen! Doch für die große Zusammenkunft müssen die Götter und Dämonen gnädig gestimmt werden. Tiere für die Opferzeremonie sind genug im Hof. Lasst das Volk teilhaben am Tag der prophezeiten Zeugung!«
***
Nach ein paar Stunden Schlaf, einem Frühstück aus halb gegorenen Früchten und einem Sud, der wie Spülwasser aussah, aber entfernt nach Wein schmeckte, setzte Matt sein Gespräch mit Pongoo fort. Die Kommunikation mit dem Jungen klappte inzwischen schon recht gut, und so erfuhr Matt, was es mit dieser kuriosen Stätte auf sich hatte.
»Du behauptest, dass die Männer allesamt Ex-Liebhaber dieser Mistress sind? Dieser Ort ist sozusagen eine Müllkippe für ausrangierte Lover?«
Pongoo nickte heftig, obwohl er die letzten Worte wohl kaum verstanden hatte.
»Und die Männer benehmen sich so seltsam, weil eine Voodoo-Zauberin ihnen mit magischen Tränken die Seele geraubt hat? Damit sie willige Diener sind?«
Wieder nickte Pongoo zustimmend.
»Und als deren Kinder seid ihr sozusagen gleich mit entsorgt worden, als diese Männer ihren Familien entrissen wurden? Damit es keine Blutrache gibt? Oder seid ihr ihre Nachkommen?«
Der drahtige Junge hob ruckartig das Kinn an und blickte Matt mit blitzenden Augen direkt an. Sein Gesicht nahm einen stolzen Ausdruck an. »Crella hat Kinderen, ja. Aber nur ik und mein Schwester Perdita heeven überlebt. Wij sind nicht weiß genug, daarom wurde wij verstoßen.«
Der Junge war also ein herrschaftlicher Spross – das Produkt von Crellas Liebesspiel mit einem Sklaven. Matt erfuhr von Crellas Sucht nach allem, was weiß war, von der Prophezeiung Orzoweis und dem Wahn, Kaiser de Rozier einen perfekten Erben schenken zu wollen.
Jetzt erst durchschaute Matthew Jakk Sons wahre Ziele. In seinen Augen musste Rulfans Ankunft wie ein Gottesgeschenk gewirkt haben. Matt mit seinen blonden Haaren war dagegen nur zweite Wahl; hellhäutig zwar, aber weit entfernt vom Idealbild der Mistress. Jakk Son hatte ihn nur für den Notfall am Leben erhalten, falls Rulfan etwas zustoßen sollte.
»Mein Freund soll also Crellas Liebessklave werden. Und die Voodoo-Hexe raubt ihm den Verstand, damit er sich nicht zur Wehr setzen kann?«
Pongoo sah zu Boden und nagte an einer Yamswurzel.
»Warum wehrt ihr euch nicht? Warum lebt ihr hier an diesem verwunschenen Ort und ernährt euch von Abfällen?«
»Wij heeben auf dich gewaacht, Ogun!«
»Pongoo«, sagte Matt sanft. »Ich kann euch nicht helfen. Nur ihr allein könnt den Willen dazu aufbringen, frei zu sein.«
Die Augen des Jungen schienen viel zu alt, als er ruhig zu Matt aufsah. »Wij haben den Willen, aber kejn Anfoerder«, erwiderte er. »Du bes Ogun-Maddrax! Zeig uns den Weg!«
Matt dachte nach. Er wollte diese Kinder keinesfalls in einen Kampf führen – aber vielleicht konnten sie ihm helfen, in die Wolkenstadt zu gelangen.
»Weißt du einen Weg in die Stadt?«, fragte er.
»Die Ankerstatioons!«, entgegnete Pongoo. Er berichtete, dass jede der Stationen, die mit einem Aufzug ausgestattet waren, von vier Wächtern gesichert wurde. Eine lag ganz in der Nähe des Waldes. »Perdita fährt dort hinauf zur Wolkenstad.«
»Deine Schwester?« Matt war verblüfft. »Wohnt sie denn dort oben?«
Pongoo erzählte ihm, dass es Perdita eines Tages gelungen war, die Wachen zu einer Passage in die Stadt zu überreden.
Da er dies mit gesenktem Blick sagte, fragte Matt lieber nicht nach, welcher Art ihre Überredungskünste gewesen waren.
Oben in der Stadt hatte Perdita dann ihre Herkunft verschwiegen und eine Anstellung als Dienstmagd gefunden.
Seitdem spionierte sie in der Höhle des Löwen für die Leidensgenossen am Boden
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