212 - Das Skelett (German Edition)
Schulzeit zusammen. Sie ist auch nur mit Frank verheiratet, um gut versorgt zu sein. Ihre Tarnung war noch besser als meine, sie bekam ein Kind, was uns beiden versagt blieb. Aber sie liebt auch nur mich und nicht ihren Mann, den du „so sehr schätzt“. Er ist im Gegensatz zu dir ein Riesenarschloch, das nur mal am Rande.
Wir hätten doch beide nie so ein leichtes Leben gehabt, wenn wir der Welt verkündet hätten, dass wir lesbisch sind.
Mein Vater hätte mich verbannt! So haben wir unsere Liebe geheim gehalten und uns ab und an in irgendwelchen Hotels getroffen. Sie hat genauso wenig wie ich jemals bei einem Mann einen Orgasmus gehabt.«
Nun hatte ich es sehr eilig zu gehen, ich stand auf und verließ wortlos das Lokal. Ich war seit Jahren mit einem Zombie verheiratet.
Ich zweifelte an meinen Verstand, war ich wirklich der gebildete Dr. Henryk Dachsler? Oder war ich der Zombie?
Das Gehörte nagte doch sehr an meinem sowieso angespannten Nervenkostüm. Nicht ihre Worte oder ihre Liebelei hallten nach. Nein, es war der bittere Geschmack des Verrats, der mich nun zermürbte. So drosch ich meinen Ferrari in Hamburgs Innenstadt und nahm mir ein Zimmer im Hyatt, erst einmal für drei Tage. Ich wusste, dass mich derzeit in Hamburg nichts halten würde, auch die Klinik nicht. Meine kurze Stippvisite verschob ich auf den morgigen Tag, um einige Regularien für die nächste Zeit zu schaffen. Gut, dass ich mein Klinikteam aus Kostengründen nie ausgedünnt hatte, das sollte sich jetzt auszahlen. Ich wurde von einer inneren Unruhe getrieben, die ich bislang nicht kannte.
V or ein paar Tagen noch wäre das undenkbar gewesen. So vernichtete ich einige Wodka-Martinis an der gemütlichen Bar, und schon fühlte ich mich besser wie James Bond himself. Ich war frei, befreit von Fesseln des alltäglichen Wahnsinns, zumindest vorerst. Das musste sein, ich hatte mir eine Auszeit verdient. Als ich dann ziemlich angesäuselt mein neues Zuhause betrat und auf dem Bett lag, nahm ich mein Handy und rief Artjom an. Es klingelte und klingelte.
»Henryk, hier ist es morgens halb vier. Du hast mich geweckt, was hast du auf dem Herzen ?«
»Ich mach ‘s!«
Dann d rückte ich das Gespräch weg und stellte das Handy aus. Jetzt hatte ich den Pakt mit der Dunkelheit besiegelt. Nun konnte ich keinen Rückzieher mehr machen, das war mir bewusst. Das war eine feste Zusage, aber für was genau?
Eins meiner ersten Lehrbücher fiel mir wieder ein: „Atlas der Anatomie und Chirurgie“.
Ich schwelgte in Erinnerungen . Als ich beim Kapitel „Präparierkurs“ im ersten Semester angelangt war, schlief ich ein.
Kapitel 7
Die nächsten Tage waren nicht wirklich beschwerlich, das Management der Klinik und die Bestellung meines Stellvertreters Dr. Hausecke waren angenehme Dinge, die es zu erledigen galt. Auch ohne mich lief alles wie gewohnt. Sicherlich vermisste mich der ein oder andere Patient, viele kamen ja nach wie vor nur meinetwegen. Aber meine Angestellten waren auch gute Schauspieler und suggerierten den Nachfragenden ein schlechtes Gewissen. Ich wäre schwer erkrankt und benötigte eine Erholungspause, wer würde dafür kein Verständnis aufbringen? Sie verschleierten mein Befinden, das machte „meine Krankheit“ noch geheimnisvoller und interessanter. Irgendwie war es ja auch tatsächlich so.
Da sich in meiner Reisetasche nur noch schon benutzte Kleidung befand, brauchte ich unbedingt frische. Ich wollte nicht in die Villa oder das Apartment fahren und mir dringend Benötigtes besorgen. So ließ ich vom Hotel Vorhandenes reinigen, und das Nötigste kaufte ich mir neu. Das war herrlich, mein Hotelzimmer sah aus wie ein Kaufhaus. Meine versnobte Phase mit klassischer Kleidung rief ich als beendet aus. Ich weiß nicht, wie lange ich schon keine Jeans und legere Kleidung mehr anhatte, außer vielleicht beim Golfen ein Polohemd. Auch das war mal wieder eine positive Erfahrung und befreite mich zusätzlich. Übertrieben sicher, aber in diesen Tagen hätte eine Krawatte mich wirklich erdrosselt.
Apropos Golf und Freizeit! Wo waren meine Freunde und meine Familie? Seit Tagen hatte ich schon keine SMS oder einen Anruf von irgendjemand erhalten. Sie befanden sich alle in Wartestellung. Auch meine Eltern interessierten sich nicht für mich. Dünne Decke! Aber wer umgibt sich schon gern mit einem, der sich vermeintlich mit der Steuerfahndung, grimmigen Staatsanwälten und dergleichen rumschlagen muss.
Ein Verbrecher - bald
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