223 - Gaston, Diana - Die mysteriöse Miss M
ausritten, obwohl er gut zehn Jahre älter ist als ich. Ihm blieb nur, unserem Vater zu berichten, dass ich im Begriff sei, mir das Genick zu brechen.“
Einem Jungen, der für sie vor dem Überqueren die Straße gefegt hatte, warf er einen Penny zu.
„Oh, sieh doch nur all die Geschäfte!“, rief Madeleine aus. „Ich hatte nicht gedacht, dass es so viele sein würden.“
Wie ein Kind auf einem Jahrmarkt sah sie mal hierhin, mal dorthin, während sie alles kommentierte, was sie entdeckte.
„Du warst noch nie in diesen Läden?“
„Nein“, antwortete sie ausgelassen. „Ich habe mich immer gefragt, wie die Geschäfte in London wohl aussehen.“
„Seit drei Jahren bist du in London, und du warst noch nie hier?“ Es kam ihm einfach unfassbar vor.
„Lord Farley ging nicht mit mir einkaufen.“
Devlin blieb stehen. „Willst du sagen, dieser Teufel ließ dich nicht einmal das Haus verlassen?“
„Ganz so schlimm war es nicht, das musst du mir glauben.“ Sie tätschelte seine Hand und ging weiter. „Als Linette alt genug war, durfte ich mit ihr in den Park auf der anderen Straßenseite gehen, aber nur früh am Morgen, wenn sich dort noch niemand aufhielt. Außerdem gab es hinter dem Haus einen kleinen Garten. Sophie und ich durften ihn pflegen, auch wenn ich in erster Linie die Erde umgegraben habe, weil ich überhaupt nichts darüber weiß, wie man Pflanzen zum Blühen bringt. Aber es gefiel mir, die Erde auf meiner Haut zu spüren.“
Mehr als drei Jahre ihres Lebens hatte sie auf einer so winzigen Fläche zubringen müssen. „Der Teufel soll Farley holen.“
Als Madeleine ihn daraufhin ansah, fühlte er sich an den Blick erinnert, den Sophie Bart zugeworfen hatte.
Einen Moment später standen sie im Eingang zu einem Geschäft, an dessen Tür ein Messingschild mit dem Namenszug „Madame Emeraude“ hing. Madeleine erschrak, und Devlin musste sie förmlich in das Ladenlokal schleifen. Sie hielt eine Hand an die Kapuze ihres Capes, um ihr Gesicht zu verdecken.
Aus einem Hinterzimmer kam eine modisch gekleidete Frau zu ihnen. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Da Madeleine sich abgewandt hatte, entgegnete Devlin: „Guten Morgen. Madame Emeraude, darf ich annehmen?“
Die Frau nickte, und Devlin deutete auf seine Begleitung. „Die junge Dame benötigt einige neue Kleider.“
„Aber gewiss, Sir. Soll ich Ihnen einige Modebilder zeigen, oder bevorzugen Sie einen bestimmten Stil?“
Es ärgerte Devlin, dass die Schneiderin ihn ansprach, aber nicht Madeleine, als sei die nur ein Vorzeigeobjekt, das von ihm eingekleidet wurde. Jedoch vermutete er, dass in dieser Gegend die Klientel so gut wie ausschließlich der Halbwelt angehörte.
„Sollen wir uns nach nebenan begeben?“, fragte sie und machte eine elegante Geste.
Devlin zog Madeleine mit sich in den privaten Ankleideraum im hinteren Teil des Geschäfts. „Die junge Dame ist ein wenig in einer Notlage. Sie müssen wissen, sie besitzt nur das Kleid, das sie am Leib trägt, und wir hatten gehofft, Sie hätten etwas Passendes für sie, das wir sofort mitnehmen können.“
Die Frau nickte verstehend. „Lassen Sie mich mal genauer hinsehen.“
Da Madeleine wie ein Stock dastand, blieb ihm keine andere Wahl, als sie so zu behandeln. Er drehte sie zur Schneiderin um und nahm das Cape ab, unter dem sie sich versteckt hatte.
„Oh“, sagte die Frau überrascht. „Miss M., richtig? Welch eine Freude, Sie wiederzusehen.“
„Guten Tag, Ma’am“, murmelte Madeleine höflich, doch Devlin entgingen nicht ihre geröteten Wangen.
„Zum Teufel“, rief er aus.
„Ich glaube, ich habe ein Kleid für Sie fertig“, meinte Madame Emeraude. „Sie erinnern sich doch, dass wir vor nicht einmal zwei Wochen die Anprobe vorgenommen haben, nicht wahr? Einen Augenblick, ich werde nachsehen …“
„Nein!“, unterbrach Madeleine sie.
„Dieses Kleid möchten wir nicht“, warf Devlin rasch ein und legte einen Arm um sie.
Madame Emeraude sah von einem zum anderen. „Ich verstehe. Heute ist es ein Neuer, richtig? Ich freue mich für Sie, Miss. Dieser andere Herr war charmant, doch mit ihm möchte ich nichts zu tun haben, abgesehen von der Bezahlung der …“ Plötzlich hielt sie inne. „Ich bitte um Verzeihung. Es war nur freundlich von mir gemeint, Miss M.“
„Danke“, erwiderte sie, sah aber weiterhin erbärmlich aus.
Lächelnd betrachtete die
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