24 kurze Albträume (German Edition)
bleiche Gesicht Enzenbergers vor dem Fenster. Wirr standen ihm die Haare vom Kopf und seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Wild fuchtelte er mit seinen dürren Händen.
Schnell wurden Haus- und Hintertüre verriegelt, denn den Tod durfte man nicht in die Stube lassen. Ein Mutiger stürmte in das erste Stockwerk, riss ein Fenster auf und rief dem wild gestikulierenden Enzenberger zu: »Ludwig, jetzt sag scho, steh’n ma widder auf, wenn ma gstorbn sin?« »Ja, widder aufgstanden« hörte er von unten wimmern, »lasst mi nei«
Mittlerweile hatte sich die Meinung durchgesetzt, dass sich der Teufel den Leib vom Ludwig Enzenberger genommen hatte, um sich in die Häuser einzuschleichen und alle ins Verderben zu ziehen.
Man tat deshalb das einzige Vernünftige, man zog die Vorhänge zu, löschte das Licht, betete und trank reichlich vom Schnaps.
Das Klopfen und Wimmern hörte dann auch bald darauf auf.
Der nächste Tag brachte neues Unheil. Enzenbergers Leichnam war verschwunden, das Leichenhäuschen verwüstet. Umgekippt lag der teuere Sarg zwischen Blumen und Kränzen und das kleine Holzkreuz war zerschlagen. Das überzeugte jetzt auch die letzten Zweifler. Das hier war Teufelswerk.
Überall erzählte man sich, wo und bei wem der Teufel um Einlass gebettelt hatte. Selbst vor dem Wort »Barmherzigkeit« sei er nicht zurückgeschreckt, habe immer wieder gerufen, dass man doch Freunde gewesen sei und dabei den schmächtigen Körper vom Ludwig durchgeschüttelt.
Gegen Abend fand man auch endlich den Leichnam wieder. Er lag auf einem Feld und war aufgrund der nächtlich einsetzenden Kälte mitsamt dem Leichenhemd steif gefroren.
Enzenberger wurde wieder in seinen Sarg gelegt, der diesmal sofort verschlossen wurde. Nach all der Aufregung wurde der Tote tags darauf beerdigt. In den Gesichtern der Trauernden war ein seltsames Leuchten, hatte ihnen doch der Ludwig gesagt, dass man wieder auferstehen würde. Wer sonst, außer ihm, konnte das so genau wissen.
Regina Schleheck
Hüpfekästchen
Wenn Lisa vom Balkon runterguckt, sieht sie die Menschen ziemlich klein unten am Haus vorbeigehen. Sie kann auch die Kinder sehen, die auf dem Bürgersteig mit Kreide Hüpfekästchen aufgemalt haben. Sie werfen einen Stein in ein Kästchen und hüpfen hinterher. Den Stein kann Lisa nicht erkennen, auch nicht, wenn sie sich ganz weit vorbeugt. Aber sie sieht die Handbewegungen der Kinder, und manchmal ist sie auch unten vorbeigegangen, wenn die Kinder Hüpfekästchen spielten.
Sie hat Thomas von den Kindern erzählt und Thomas hat sich das Spiel genau erklären lassen. Er hat auf seinem Millimeterpapier eine Zeichnung angefertigt von den Hüpfekästchen, und dann hat er einen Pfeil gezeichnet für die Flugbahn des Steins.
Lisa hat ihm von dem Klappern der Holzschuhe auf den Bürgersteigplatten erzählt und von den hohen Stimmen der Kinder, die sich beim Hüpfen überschlagen. Sie singen ein Lied in ihrer Heimatsprache dazu im Rhythmus ihrer Holzschuhe, die von Kästchen zu Kästchen springen.
»Interessant«, hat Thomas gesagt. Er ist früher bestimmt nie auf Bürgersteigen gehüpft. Er ist auf liniiertem Kästchenpapier entworfen worden, hat vierzehntausendzweihundertundvierzig mal seinen Körper in einem rechteckigen Bett in die Waagerechte gebracht und hatte dabei bestimmt noch nie Alpträume. Tagsüber arbeitet er an dem Schreibtisch, der vor einem Jahr noch Lisas Vater gehört hat, und zeichnet Grundrisse und rechnet Beton mal Schrauben dividiert durch Lüftungsschächte.
Lisa möchte so gern den Stein in dem Kästchen sehen können. Sie spürt einen Stein in ihrem Bauch, und wenn sie sich noch weiter vorbeugt, dann könnte ihr Stein –
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