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24 kurze Albträume (German Edition)

24 kurze Albträume (German Edition)

Titel: 24 kurze Albträume (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regina Schleheck , Oliver Henzler , Michael Rapp , Bernhard Giersche
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Por­zel­la­nen­geln, die sei­ne Schwä­ge­rin zu Weih­nach­ten ins Fens­ter stell­te.
    Die En­gel be­gan­nen, an den Pfählen em­por­zu­klet­tern.
    Bil­der­zeu­gung, schoss es ihm durch den Kopf. 3D-Tech­nik. Er dach­te an sei­nen ko­rea­ni­schen 48- Zöl­ler: Ge­bäu­de, Land­schaf­ten, ganz Mit­tel­er­de, al­les fo­to­rea­lis­tisch. Warum also nicht eine Welt aus Eis und Pfählen? Al­les eine Fra­ge der Tech­nik. Ka­me­ras nah­men ihn auf. Ein Com­pu­ter be­rech­ne­te blitzschnell neue Bil­der, ab­ge­s­timmt auf sei­nen Blick­win­kel. Er dreh­te den Kopf von ei­ner Sei­te zur an­de­ren. Bild­feh­ler? Kei­ne. Er warf den Kopf zu­rück. Die Son­ne blen­de­te – ein Schein­wer­fer. Ei­ses­käl­te von un­ten – Trocken­eis. Nichts als Kli­ma­kon­trol­le. Cle­ve­re Il­lu­sio­nen.
    Auf kei­nen Fall saß er auf ei­nem ver­fluch­ten Pfahl, drei­hun­dert Me­ter über die­ser Eis­höl­le – Höl­le? Der Ge­dan­ke pump­te eine Hit­ze­wel­le durch sei­nen Kör­per. Das Blut rausch­te in sei­nen Oh­ren. Wor­an konn­te er sich er­in­nern? Ein Flug­zeug­sitz, kur­z­er blau­er Flor, der Ge­schmack von Bit­ter­le­mon, ver­welk­ter Bei­la­gen­sa­lat, See­zun­ge und Pe­ter­si­li­en­kar­tof­feln. Er hat­te in ei­nem Bild­band ge­blät­tert: Fi­dschi. Män­ner, die mit Spee­ren fisch­ten und bar­fuß auf Pal­men klet­ter­ten. Später hat­te er das Le­se­licht ge­löscht …
    Für einen Au­gen­blick war er wie­der auf dem Sitz, fühl­te ihn un­ter sich, fühl­te die Hit­ze. Flackern­des Licht durch­brach die Dun­kel­heit.
    …
    Ein Schrei. Der Jun­ge hat­te den Halt ver­lo­ren. Er stürz­te, schlug in der Luft um sich und zer­schell­te auf dem Eis, als ob er selbst zu Eis ge­wor­den wäre. Klei­ne Bröck­chen schlit­ter­ten in alle Rich­tun­gen; glit­zern­der Staub senk­te sich auf die Auf­schlags­tel­le. Si­mon frös­tel­te. Die bei­den Por­zel­la­nen­gel am Pfahl des Jun­gen be­gan­nen den Ab­s­tieg.
    Ein Rucken ging durch Si­mons Brett. Er blick­te nach un­ten. Die En­gel schlu­gen ihre wei­ßen Klau­en in das Holz. Sie er­in­ner­ten ihn an die ka­ri­bi­schen Ko­kos­pflücker in dem Hai­ti-Bild­band. Nur wa­ren das kei­ne drah­ti­gen Po­ly­ne­si­er, son­dern ge­sichts­lo­se Mons­ter. Ge­mäch­lich klet­ter­ten sie höher, den au­gen­lo­sen Blick auf ihn ge­rich­tet. Es wür­de kei­ne fünf Mi­nu­ten mehr dau­ern, und sie hät­ten ihn.
    Er schloss die Au­gen und kon­zen­trier­te sich auf das Flug­zeug, den fes­ten blau­en Sitz. »Blau­er Sitz, blau­er Sitz«, flüs­ter­te er un­ent­wegt und ver­such­te so in­ten­siv wie mög­lich, sich den Sitz vor­zus­tel­len. Plötz­lich hat­te er das Ge­fühl, der Sitz sei wirk­lich da.
    Als er die Au­gen öff­ne­te, war er in der Ka­bi­ne. Dies­mal be­kam er den Si­cher­heits­gurt los. Er sprang auf und fuhr her­um. Flam­men lo­der­ten zwi­schen den hin­te­ren Rei­hen. Nichts wie raus, schoss es ihm durch den Kopf. Er stürm­te los - und stol­per­te über ein Bein. Es war die blon­de Frau. Blut kleb­te an ih­rer Stirn. Ihre Fin­ger um­klam­mer­ten ih­ren Sitz. Der Kopf des Man­nes ne­ben ihr war un­na­tür­lich auf sei­ne Brust ge­sun­ken, of­fen­bar war sein Ge­nick ge­bro­chen. Si­mon lös­te ih­ren Gurt, griff un­ter ih­ren Ach­seln durch, fass­te ih­ren Un­ter­arm und schleif­te sie durch den Gang.
    Die Ma­schi­ne war in zwei Tei­le ge­ris­sen. Der Bug rag­te zwan­zig Me­ter ent­fernt aus der Erde, voll­kom­men zer­stört. Er leg­te die reg­lo­se Frau ab, sprang ins Freie, rap­pel­te sich auf und zog sie zu sich her­un­ter. Rück­wärts ge­hend schlepp­te er sie weg von der Ab­sturzs­tel­le. Das Feu­er fraß sich ra­send schnell durch die Res­te der Ka­bi­ne. Dich­ter schwar­zer Rauch stieg in den Nacht­him­mel. Nie­mand sonst hat­te es nach drau­ßen ge­schafft.
    Hil­fe su­chend blick­te er sich um. Hin­ter ei­nem na­hen Korn­feld glänzten die Lich­ter ei­nes Or­tes. Der Kranz ei­nes Mai­baums pen­del­te im Wind. Er schau­der­te. Wor­an er­in­ner­te ihn das Bild? Die Frau zu sei­nen Füßen hus­te­te. Während er sich über sie beug­te, be­gann eine Si­re­ne zu heu­len.
     
     

Yvon­ne Tad­deo
     
    Der

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