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24 kurze Albträume (German Edition)

24 kurze Albträume (German Edition)

Titel: 24 kurze Albträume (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regina Schleheck , Oliver Henzler , Michael Rapp , Bernhard Giersche
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letzte Brief
     
    Eine fal­ti­ge, alte Hand führt zitt­rig die Fe­der über das ver­gilb­te Pa­pier, wel­ches aus der­sel­ben Zeit stammt wie die Ge­schich­te, die dar­auf nie­der­ge­schrie­ben wer­den soll. Wenn ich be­den­ke, wie jung ich da­mals war, kann ich kaum glau­ben, dass es mei­ne Hand ist, die es kaum noch ver­mag, einen Buch­sta­ben le­ser­lich dar­zus­tel­len. Doch ich muss es tun. Ehe es zu spät ist. Ehe die Ge­schich­te mit mir stirbt. Sie be­glei­te­te mich mein gan­zes Le­ben als stil­le Wahr­heit, ver­schwie­gen und fan­tas­tisch. 
    Es war zu der Zeit, als wir an lan­gen Win­ter­aben­den in der Stu­be um den Ofen her­um kau­er­ten und den Al­ten ge­bannt zu­hör­ten, wie sie von un­glaub­li­chen Zu­fäl­len und Be­geg­nun­gen erzähl­ten, die sich einst zu­ge­tra­gen ha­ben soll­ten. So er­fuh­ren wir von vie­len We­sen, de­ren Exis­tenz der mo­der­ne Mensch von heu­te bes­ten­falls be­lächelt. We­sen, aus ei­ner an­de­ren Welt. We­der gut noch böse, doch leb­los und dar­um auf uns an­ge­wie­sen.  
    In ei­ner die­ser stür­mi­schen Näch­te zwi­schen Weih­nach­ten und Neu­jahr ver­kroch ich mich tief un­ter die krat­zi­ge Decke, als der Wind um das Haus pfiff und dem Ge­bälk schau­er­li­che Ge­räusche ab­ver­lang­te. Es knack­te und heul­te, dass mir ganz an­ders zu­mu­te wur­de. Manch­mal half es, ein­fach aus dem Fens­ter zu se­hen um sich zu über­zeu­gen, dass es wirk­lich nur der Wind war, der die Fan­ta­sie an­reg­te. Also tat ich, was mich schon so vie­le Male be­ru­higt hat­te, hauch­te die ver­eis­te Schei­be an und rieb einen klei­nen Kreis frei, um einen Blick hin­aus zu wa­gen. Doch au­ßer den knor­ri­gen Bäu­men und dem im Wind her­um­wir­beln­den Schnee sah ich noch et­was an­de­res: Ein Mann mit ei­ner Fackel mach­te sich dar­an, hin­auf auf den Glau­berg zu stei­gen. Ich er­kann­te ihn. Es war der Amt­mann. Ein ge­fürch­te­ter Mensch, von dem man sag­te, er sei einst ein ar­mer Schlucker ge­we­sen und nach ei­ner Nacht auf dem Ber­ge als rei­cher Mann zu­rück­ge­kehrt. Ich frag­te mich, ob er wohl hin­auf­s­tieg, um aber­mals rei­cher als zu­vor zu­rück­zu­keh­ren.  
    Auf ein­mal wur­de ich wei­te­ren Per­so­nen ge­wahr. Sie wa­ren zu fünft und folg­ten dem Amt­mann in ei­ni­gem Ab­stand. Lan­ge Um­hän­ge schüt­zen sie vor der Käl­te. Ei­ner der Um­hän­ge war rot, die an­de­ren dun­kel. Sie be­weg­ten sich in voll­kom­me­nem Gleich­gang, doch es schi­en, als be­rühr­ten sie da­bei nicht den Bo­den. Mei­ne Neu­gier war ge­weckt. Rasch zog ich mich an, schlich mich mit mei­ner Pup­pe im Arm aus dem Haus und pirsch­te lei­se den Män­nern hin­ter­her. Der Wind zerr­te an mir, als woll­te er mich fort­tra­gen. Die Män­ner folg­ten dem Amt­mann auf den Hü­gel, und ich folg­te ih­nen.  
    Zu mei­ner Ver­wun­de­rung war es auf dem Glau­berg völ­lig ru­hig und wind­s­till. War­mes Licht trat aus ei­ner Pfor­te mit­ten auf der Wie­se, die ich dort noch nie ge­se­hen hat­te. Ich ver­barg mich hin­ter den Res­ten des Ring­walls, der das Ge­biet um­ran­de­te und be­ob­ach­te­te, was ge­sch­ah. Der Amt­mann war ge­ra­de hin­ein­ge­gan­gen und nun folg­te ihm die Ge­stalt mit dem ro­ten Um­hang.  
    Ich nahm mei­nen gan­zen Mut zu­sam­men, ver­lies mein Vers­teck und schlich mich an die an­de­ren her­an. Be­herzt zupf­te ich am Um­hang des Kleins­ten, als der Rote ge­ra­de wie­der durch die Pfor­te schritt. Ich war über­rascht, als sich mir das Ge­sicht ei­ner wun­der­schö­nen, jun­gen Frau zu­wen­de­te und mich ver­wun­dert an­sah. Dann lächel­te sie. 
    »Ist das der Weih­nachts­mann?«, frag­te ich lei­se und deu­te­te auf den ro­ten Mann. Der dreh­te sich kurz um und sah mich bei­na­he eben­so ver­wun­dert an, wie zu­vor die schö­ne Frau. Dann nick­te er ihr zu. Ich war sehr er­staunt, dass er kei­nen lan­gen, wei­ßen Bart hat­te.
    »Ja«, er­wi­der­te die Frau, de­ren Stim­me einen un­wi­ders­teh­lich süßen Klang hat­te. Plötz­lich hör­te ich den Amt­mann stöh­nen und weh­kla­gen.
    »War er böse?«
    »Ja. Dar­um ist der Weih­nachts­mann ge­kom­men und nimmt ihm das Ge­schenk wie­der weg.«
Ich er­schrak.

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