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246 - Am Ende aller Zeit

246 - Am Ende aller Zeit

Titel: 246 - Am Ende aller Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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gleichgültiger wurde.
    Er fuhr sich mit den Händen über den gestutzten Bart. Wie viel Kraft es kostete, nur die alltäglichen Dinge zu tun. Sich zu waschen, zu pflegen, ordentlich zu kleiden. Aber er musste all das tun. Er durfte sich nicht gehen lassen. Die Menschen, die ihn umgaben, begriffen allmählich, was auch er befürchtete: Dass es keinen Ausweg gab. Sie konnten nicht auf Rettung von außen hoffen. Gott hatte sie auf die Probe gestellt, doch bisher waren es diese Kunstwesen außerhalb seiner Schöpfung, die das neue Reich erkundeten. Für die Menschen gab es weder einen Rückweg, noch die Möglichkeit, selbst hinauszugehen und sich das von Gott geschenkte Land Untertan zu machen. Ihre Ängste vor der fremden Welt hinderten sie.
    Wir sollten selbst hinausgehen. Den Verletzten geht es besser, die Schusswunden sind fast bei allen gut verheilt. Wir müssen uns das Land Gottes endlich erobern…
    Zögernd berührte er mit einem Finger einen der Monitore, auf dem die fremd aussehenden Pflanzen zu sehen waren.
    Aber ich habe Angst. Genau wie alle anderen. Eigentlich bin ich froh, dass ich nicht dort hinaus muss. Ist meine Schwäche verantwortlich dafür, dass GOTT uns nicht hilft? Müsste ich stärker sein? Der HERR ruft nach mir und ich zaudere…
    Eine kräftige Hand legte sich auf seine Schulter. »Erzbischof… Ihr seht sehr nachdenklich aus.« Die polternde Stimme von Torture ließ Rage aufsehen. Der Inquisitor war nicht allein gekommen. An seiner Seite stand eine schwarzhaarige Frau – wie war noch ihr Name? Stardust?
    Der Erzbischof schüttelte missbilligend den Kopf. In den letzten Tagen hatte Torture viel zu viel Zeit mit diesem Weib verbracht. Er starrte auf die Kette mit dem Kreuz, die Stardust seit einigen Tagen um den Hals trug. Der Anhänger baumelte tief zwischen dem üppigen Fleisch ihrer Brüste.
    Angewidert sah der Erzbischof fort. »Ich hadere mit dem Gedanken, mir das Land des HERRN nicht Untertan machen zu können.«
    »Vielleicht seid Ihr ’n Stückweit zu ungeduldig«, meinte die schwarzhaarige Göre prompt, als hätte der Rev’rend sie angesprochen.
    »Stardust hat recht«, fiel Torture überraschenderweise ein. Rage sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
    Torture machte eine weite Geste mit der Hand. »Wir können sehr stolz auf unsere Anhänger sein. Obwohl sie verzweifelt sind und hohe Verluste erlitten haben, bewahren sie sich ihren Mut und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie sind sehr tapfer. Wir brauchen Geduld. Ich bin mir sicher, der HERR wird uns einen Weg zeigen, den wir gehen können.«
    »Das weiß ich, Bruder. Aber ich frage mich, ob wir im Moment nicht eher kriechen als gehen.« Rages Stimme war schärfer als beabsichtigt. Er mochte die vertrauliche Art nicht, mit der diese schwarzhaarige Verführerin ihre Hand auf Tortures Arm legte. Ihre schlanken Finger streichelten über den Ärmel des abgewetzten dunkelbraunen Ledermantels des Inquisitors. Torture schien es nicht zu bemerken.
    »Was habt ihr vor?«
    »Nichts. Noch nichts. Doch ich finde die Situation unerträglich! Wie lange wollen wir noch mit den finsteren Gesellen des Generals paktieren? Unsere Verletzten sind gesund. Es wird Zeit sich zu überlegen, ob wir nicht lieber ausziehen sollen, uns im Namen des HERRN eine neue Heimat zu erschließen.«
    Stardust machte ein betretenes Gesicht. »Rev’rend…«, meinte sie zögernd. »Viele der Menschen hoffen noch immer auf Rettung. Diese Anlage zu verlassen wär für sie das Signal, dass… na ja… dass es keine Rettung geben wird…«
    »Es gibt keine Rettung außer durch den HERRN!«, beschied ihr Rage ungnädig. »Und der HERR ist nicht mit den Wankenden und Schwachen!«
    Torture nickte langsam. »Schon richtig, Bruder. Wir sollten trotzdem warten. Geben wir den Leuten noch ein wenig Zeit.« Er sah weich zu Stardust hinunter, und Rage fragte sich plötzlich, ob die fremde Frau eine Magierin war, die seinen Rev’rend verzaubert hatte. Den Leuten Zeit geben? Abwarten? Sonst war es doch Torture, der wie ein wildes Horsay vorwärts stampfte und dabei um sich biss! Erlag sein Bruder den Einflüsterungen des lüsternen Weibes? Seine Augen verengten sich.
    »Ich glaube, Bruder, dass du dich allmählich an die Bequemlichkeiten hier in der Anlage gewöhnst und sie nicht missen möchtest! Du vergisst meinen Traum und die heilige Mission! Wir müssen uns dieses Land erschließen und eine neue Ordnung schaffen! Eine gottgefällige Ordnung!«
    Tortures Augen blitzten

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