2462 - Der Fund von Amienolc
jüngerer Bruder des unsterblichen Kristallprinzen aussah. Mittlerweile war Ben biologisch mehr als doppelt so alt wie der Aktivatorträger; und immer noch mit ihr zusammen.
Treu wie Gold ...
Sie strich ihm sanft über die Stirn.
Kein einziges, winziges Fältchen in den Augenwinkeln wollte sie missen.
Er alterte; mit ihr, gleichauf. In absehbarer Zeit, doch hoffentlich nach ihr, würde er sein Leben aushauchen.
Während Atlan, Rhodan, Tekener, verdammt zu ewiger Jugend, konserviert, versteinert in ihrer Einsamkeit, immer weiterkämpften. Ums Erbe des Multiversums? Oder, aus Prinzip, um des Kämpfens willen?
Ein Urteil maßte Tess Qumisha sich nicht an. Jedenfalls fühlte sie sich nicht benachteiligt, weil sie keinen Aktivatorchip verliehen bekommen hatte.
Sie und ihr Mann Ben lebten; recht lustvoll, wie sie fand. Und das bedeutete, dass sie sich dem Kreislauf, dem ewigen Zyklus des Werdens und Vergehens, nicht künstlich entzogen.
Benjameens Lider flatterten. Er träumte. Sein Geist tanzte, er weilte in weit entfernten Sphären.
Beklemmung ergriff Tess, schnürte ihr die Brust ein wie immer, wenn sie sich dessen bewusst wurde, dass Bens Bewusstsein der Heimweg verwehrt werden könnte. Dass der warme Leib, den sie an sich drückte, verwelkte und abstarb, ohne ein weiteres Mal aus der Ohnmacht erweckt worden zu sein.
„Ich komme wieder", hatte er gesagt. Wie immer. „Bitte warte auf mich."
Tess wartete.
Zum Glück hatte sie darüber hinaus noch eine andere Aufgabe zu erfüllen.
Eine ganze Wand der Kabine, ihres gemeinsamen Quartiers, bedeckten holografische Diagramme.
Parameter und deren abhängige Variablen wechselten in rascher Folge.
Es fiel Tess nicht schwer, den Überblick zu behalten.
Sie hatte im Forschungszentrum Merkur gearbeitet und sich, fußend auf ihrer Ausbildung als Hochfrequenz-Energietechnikerin, zu einer erstklassigen Hyperphysikerin entwickelt. Hier und jetzt oblag ihr die Koordination der so unterschiedlichen Ebenen.
Tess las sowohl Trim Maraths Diagnose-Werte ab als auch die laufend aktualisierten Messdaten der Umgebung, insbesondere jenes Teils des Sektors Amienolc, in dem die SOL quasi Anker geworfen hatte. Viel tat sich nicht. Die Traitank-Flottillen dümpelten am äußeren Rand der Verwerfungszone vor sich hin, ungefähr gleich weit vom Zentrum entfernt wie das Hantelschiff, das sich im Ortungsschutz einer Riesensonne verbarg.
Nichts passierte. Ohne in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen, schmiegte Tess ihren Handrücken an Benjameens allmählich auskühlende Wange. So gut sie es vermochte, bezähmte sie ihre Ungeduld.
Dann, schlagartig, kehrte er zurück.
*
„Ich hasse das", sagte Ben, nachdem er mit einigen Dehnungsübungen seinen Kreislauf wieder in Schwung gebracht hatte.
Tess wusste, dass er nicht die ersten Sekunden nach der Rückkehr in seinen halb tauben Körper meinte; sondern die Verletzung der Intimität, wenn er an den Träumen anderer Personen teilhatte. Daran änderte auch nichts, dass Trim Marath ausdrücklich seine Zustimmung gegeben hatte.
„War’s schlimm?"
„Na ja ... Man ist nun mal nicht gern dabei, wenn ein Vater sein Kind tötet."
„Oh."
Dieser Albtraum, erzählte Benjameen, quälte Trim offenbar regelmäßig: Immer wieder durchlebte er dieselbe Szene. Nach einer elterlichen Zurechtweisung brüllte ihn sein kleiner Sohn Creider an: „Ich will, dass du tot bist!"
Kein ungewöhnliches Verhalten für einen trotzigen Halbwüchsigen. Viele Väter mussten mit ärgeren Wutausbrüchen zurecht kommen. Allerdings erschufen normale Väter nicht, wenn ihr Leben bedroht wurde, ein psimaterielles, pechschwarzes, gesichtsloses Nebelmonster mit übermenschlichen Kräften ...
In der Realität war der Vorfall, der sich an Bord der SOL zugetragen hatte, glimpflich ausgegangen. Creiders Mutter, die Kamashitin Zitonie Kalishan, hatte sich und den Jungen rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Und Marath selbst schwor, er hätte den Schwarzen Zwilling ohnedies zurückgehalten.
Aber hundertprozentig sicher war er sich offenbar nicht. Im Traum entglitt der Nebelkrieger seiner Kontrolle und zerfetzte binnen Sekunden Mutter und Kind.
„Nachvollziehbar, dass Trim dabei Schreckliches durchmacht." Benjameen kratzte sich an den Unterarmen, wie er es oft tat, wenn er buchstäblich in einer anderen Haut gesteckt hatte.
Nach dem unglücklichen Zwischenfall hatte sich Zitonie Kalishan damals von Marath getrennt und ihm das Versprechen abgenommen, keinerlei Kontakt
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