25 - Ardistan und Dschinnistan II
uns war, daß er uns in die Kirche führte, daß er dort den Stern entzündete und daß er uns sodann wieder hierher begleitete. Wie aber soll ich wissen, wo er sich jetzt befindet? Meinst du, daß er sich von uns bewachen lasse?“
„Nein; das meine ich nicht. Aber da draußen auf dem Gang gibt es frische Blutflecke. Kennt ihr sie?“
„Ja.“
„Was ist es für Blut?“
„Menschenblut.“
„Von wem?“
„Von Soldaten.“
„Wer hat es vergossen?“
„Hier unsere Hunde.“
Da sprang er mit einem lauten Schrei des Entsetzens empor und rief:
„Von diesen Hunden? Von diesen riesigen, entsetzlichen Ungetümen wurde die Tat vollbracht? Warum? Warum? War der Mir dabei?“
„Gewiß war er dabei.“
„Und er hat gewußt, daß es nur ihm galt, ihm allein!“
„Ihm allein?“
„Ja.“
„Das ist nicht wahr. Es galt auch uns!“
„Du irrst! Ich bin der, der es weiß! Ich bin –“
Er hielt mitten im Satz inne, ließ seinen Blick über mich, über Halef und die vier Hunde gehen und fuhr dann fort:
„Ich muß aufrichtig sein; ich muß es sagen, ich muß! Und doch ist es so schwer, so unendlich schwer! Es kann mich und alle verderben. Ich werde beten, ehe ich es tue, ja beten!“
Er kniete nieder, faltete die Hände, hob den Blick empor und betete El Fatcha, die erste Sure des Korans.
Es war tief ergreifend, diesen Mann hier vor uns knien und beten zu sehen. Mein ganzes Herz stellte sich an seine Seite und nahm für ihn Partei. In meinem Inneren kämpften zwei Gestalten gegeneinander: er und der Mir. Wer würde siegen? Es war nicht ausgeschlossen, daß ich in diesem Kampf mitsamt meinem wackeren Halef auch mit unterging! Da erhob sich der Basch Islami aus seiner knienden Stellung, setzte sich wieder nieder, wie er vorher gesessen hatte, und fuhr fort:
„So hoffe ich denn zu Allah, daß der Weg den ich hier gehe, nicht der falsche, sondern der richtige ist! Ich höre in mir eine Stimme, die mir sagt, ich müsse euch vertrauen, sonst gehen wir alle an unserer ehrlichen, gerechten Sache zugrunde. Effendi, ich bitte Euch, mir zuzuschwören, von dem, was ich Euch jetzt sage, dem Mir nichts zu verraten!“
„Ich schwöre nie“, antwortete ich. „Aber mein Wort ist stets so heilig wie ein Schwur.“
„Gut! So versprecht ihr mir, ihm nichts davon mitzuteilen?“
„Ja. Wenn du es ihm nicht selbst sagst, wir sagen ihm nichts.“
Dieses mein Versprechen scheint vielleicht hinterlistig gegeben zu sein. Man wird aber gleich hören, daß es ehrlich gemeint war. Der Basch Islami fuhr fort:
„Das, was ich euch zu sagen habe, ist ungeheuer wichtig. Wenn ihr es verratet, kann es mir und vielen anderen das Leben kosten. Gebt ihr mir euer Wort, daß es genauso sein soll, als ob ich euch nichts gesagt habe?“
„Ja; wir geben es“, antwortete ich. Ich wußte gar wohl, was ich da sagte. Ich versprach es nicht nur für mich und Halef, sondern ebenso auch für den Mir, der ja draußen saß und alles auch hörte. Auch der Basch Islami schien eine Ahnung von der Verantwortlichkeit zu haben, die ich übernahm, denn er sah mich mit großen, fast bewundernden Augen an und sprach:
„Du bist ein kühner Mann, Effendi! Weißt du, was du versprichst?“
„Ich weiß es.“
„So darf ich Vertrauen zu euch haben und euch alles sagen. Hört also, und staunt: Der Herrscher von Ardistan wird abgesetzt!“
Er sagte jedes Wort so gewichtig, als ob er es mit Buntstift unterstreiche. Ich aber erkundigte mich im ruhigsten Tone:
„Von wem?“
„Vom Basch Islami von Ardistan, also von mir. Verstanden?“
Erst jetzt erlaubte ich mir, zu staunen.
„Von dir? Wirklich von dir?“ fragte ich in ziemlich ungläubigem Ton.
„Ja, von mir!“ versicherte er stolz.
„Bist du der Mann dazu, so etwas Großes, Schweres und Wichtiges zu vollbringen?“
Ich sah ihn dabei prüfend an. Da schlug er sich die Hand auf die Brust und antwortete:
„Ich bin es! Ich bin der Basch Islami. Ich habe darüber zu wachen, daß es Glauben gibt im Land, daß Allah der Erste und der Höchste ist im Leben und im Sterben. Ich habe dafür zu sorgen, daß Gerechtigkeit und Menschlichkeit herrsche allüberall, wohin die Würde meines Amtes reicht. Wie aber sieht es aus in Ardistan unter der Regierung dieses unseres Herrschers? Er glaubt weder an Gott noch an den Teufel. Er lacht über Himmel und Hölle, über Seligkeit und Verdammnis. Er betet nie. Er bedrückt das Land. Er saugt die Untertanen aus. Er bestiehlt die Witwen und Waisen. Kein
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