262 - Route 66
zu verstehen, was dort vor sich ging.
***
Der Aufenthaltsraum war überfüllt. Elf Menschen drängten sich stehend dort. Zwar wäre mehr Platz gewesen, wenn die Marsianer die langen Bänke an den Seiten des Raumes genutzt hätten, aber offenbar wollte sich niemand setzen. Clarice entdeckte Vogler und eilte auf ihn zu. »Geht es dir gut?«
Der Baumsprecher nickte. »So wie es aussieht, hatten wir Glück im Unglück. Niemand ist verletzt worden.« Er besah sich ihre Kopfwunde. Die Blutung hatte bereits aufgehört. »Zumindest nicht schwer«, fügte er hinzu. »Du solltest das abkleben lassen.«
In dem Moment betrat Kommandant Angelis den Raum. In seinem bronzefarbenen Ganzkörperanzug mit dem gleichfarbenen Gürtel wirkte er größer und massiver als alle ihn umgebenden Marsianer. Seine dunklen Augen verrieten nicht, ob Grund zur Sorge bestand. Schlagartig verstummten alle Gespräche. Eine Gasse bildete sich, die Menschen wichen respektvoll zurück. Einige setzten sich nun doch.
Der Kommandant trat in ihre Mitte. »Ich bitte um Aufmerksamkeit!« Seine Stimme erfüllte den Raum. »Wie Sie schon über den Bordfunk gehört haben, gab es eine Kollision. Ein Meteorit, nicht größer als eine Faust, ist mit einer Geschwindigkeit von vierzig Kilometern pro Sekunde auf das Schiff geprallt und im oberen Mittelteil stecken geblieben.«
Gemurmel wurde laut, das aber sofort verstummte, als der Kommandant die Hand hob. »Wir haben die Situation momentan unter Kontrolle. Glücklicherweise nahm der Meteorit einen Weg durch eine der offenen Schutzluken. Dieses Sicherheitsschott konnte geschlossen und verriegelt werden. Die Antriebe wurden kaum beeinträchtigt. Das Leck in der Außenhülle zu reparieren lohnt sich nicht, da es unseren Flug nicht beeinträchtigt. Es kann vor der Landung auf dem Mars im Raumdock auf Phobos abgedichtet werden.«
Valgerd Bodvar Angelis erhob sich. Wie der Name verriet, gehörte auch er dem Hause Angelis an, einem der größten auf dem Mars, das vor allem Kommandanten und Piloten stellte. Er war Clarice flüchtig bekannt. Sie hatte ihn wegen seiner aufdringlichen Art nie leiden können und zum Glück nur wenig mit ihm zu tun gehabt. »Tendon, Sie sagten, die Situation sei ›momentan‹ unter Kontrolle. Was hat das zu bedeuten?«
Tendon Angelis senkte den Blick. Clarice sah nun doch Sorge auf dem schmalen Gesicht des Mannes. Er wurde blasser. Seine rötlichen Pigmentierungen traten deutlicher hervor. »Wie Sie vielleicht wissen, ist dieses Raumschiff aus einem sehr speziellen Leichtmetall erbaut, und es gibt aus Gewichtsgründen nur wenige Schwermetallteile an Bord. Nun hat der Meteorit nicht nur ein Leck in der Außenhülle hinterlassen, sondern zwei weitere Löcher geschlagen - eins davon in den Reaktormantel.« Er machte eine Pause. Die Augen aller waren auf ihn gerichtet. Clarice ahnte Übles.
»Wir können dieses Loch zwar mit einem Spezialschaum füllen, um den Reaktorbetrieb zu gewährleisten«, fuhr Angelis fort, »aber das reicht nicht aus, um die austretende harte Strahlung zurückzuhalten. Dafür bräuchten wir ein zusätzliches Stück der Reaktorwandung oder mindestens eine schwere Bleiplatte.«
»Haben wir denn kein Ersatzteil an Bord?«, warf Lorn Saintdemar ein. Sein Hauskollege Brag nickte zustimmend.
»Wir hatten «, sagte Tendon Angelis kryptisch und sah in die Runde. Dann präzisierte er: »Der Raum mit dem Leck in der Außenhülle ist das Maschinenlager. Sämtliche Ersatzteile sind in den Weltraum gesaugt worden.«
Betretenes Schweigen antwortete ihm. Angelis nickte bekümmert. »Mit einer derartigen Verkettung unglücklicher Umstände konnte niemand rechnen. Wir haben somit kein Material an Bord, das die extrem harte Strahlung aufhalten könnte. Sie wird innerhalb weniger Tage zu irreversiblen Zellschäden und auf lange Sicht zum Tod führen. Die einzige Alternative ist die Evakuierung mit dem Beiboot. Darin müssen wir solange aushalten, bis Hilfe vom Mars kommt.«
» Was? « Die Stimme von Valgerd Bodvar Angelis überschlug sich. Der ehemalige Kommandant der Mondstation lief dunkelrot an. »Die CARTER IV aufgeben? Wissen Sie eigentlich, was das Schiff wert ist, Tendon? Wir sprechen hier über einen Prototyp! Über das Glanzstück marsianischer Technologie!«
»Im Beiboot?«, rief ein anderes Crewmitglied der Mondbasis, bevor Angelis antworten konnte. Es gehörte dem Haus Tsuyoshi an. »Haben wir dort überhaupt ausreichend Sauerstoff, bis Rettung aus der Heimat hier sein
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