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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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dem Namen zu reservieren, der in seinem Reisepass steht, ein Irrtum, den er dann am nächsten Tag richtigstellen sollte, indem er persönlich zum Schalter der Fluggesellschaft ging und ein Ticket unter seinem richtigen Namen kaufte. Das erklärt, warum auf dem Flug nach Marokko kein Archimboldi an Bord war. Es gibt natürlich auch andere mögliche Erklärungen. Dass Archimboldi, nachdem er es sich zweimal (oder viermal) überlegt hatte, in letzter Minute doch nicht reisen wollte, oder dass er reisen wollte, aber nicht nach Marokko, sondern zum Beispiel in die Vereinigten Staaten, oder dass alles nur ein Scherz oder ein Missverständnis war.
    Der Text des Serben enthielt eine Beschreibung von Archimboldis äußerer Erscheinung. Unschwer zu erkennen, dass hier der Schwabe mit seiner Schilderung Pate gestanden hatte. Sein Porträt zeigte Archimboldi natürlich als einen jungen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Und der Serbe tat nichts anderes, als diesem jungen Mann, der 1949 mit einer einzigen Buchveröffentlichung in Friesland auftauchte, ältere Züge zu verleihen, ihn in einen siebzig- bis achtzigjährigen Greis mit umfangreicher Bibliographie, aber im Wesentlichen unveränderten Merkmalen zu transponieren, als wäre Archimboldi anders, als es mit den meisten Menschen zu geschehen pflegt, immer derselbe geblieben. Seinem Werk nach zu urteilen, ist unser Autor ganz zweifellos ein sturer Mensch, schrieb der Serbe, stur wie ein Maultier, stur wie ein Dickhäuter, und wenn er in den melancholischsten Stunden eines sizilianischen Nachmittags den Entschluss fasste, nach Marokko zu reisen, auch wenn er versehentlich nicht unter seinem richtigen Namen, sondern als Benno von Archimboldi reserviert hatte, so gibt dennoch nichts zu der Hoffnung Anlass, dass er tags darauf seine Meinung änderte und nicht persönlich in das Reisebüro ging, um ein Flugticket zu kaufen, diesmal mit seinem regulären Namen und seinem regulären Pass, und nicht ins Flugzeug stieg als einer von zahllosen alten, unverheirateten Deutschen, die jeden Tag einsam durch die Lüfte in irgendein nordafrikanisches Land reisen.
    Alt und unverheiratet, dachte Pelletier. Einer von zahllosen alten, unverheirateten Deutschen. Wie die Junggesellenmaschine. Wie der Junggeselle, der plötzlich altert, oder wie der Junggeselle, der bei der Rückkehr von einer Reise in Lichtgeschwindigkeit die anderen Junggesellen gealtert oder zu Salzsäulen erstarrt vorfindet. Tausende, Hunderttausende von Junggesellenmaschinen, die Tag für Tag mit Alitalia ein amniotisches Meer überqueren, auf dem Flug Spaghetti mit Tomatensoße essen und Chianti oder Apfellikör trinken, mit halbgeschlossenen Augen und fest überzeugt, dass das Paradies für Rentner nicht in Italien liegt (also auch nirgendwo sonst in Europa), unterwegs zu einem der chaotischen Flughäfen Afrikas oder Amerikas, wo die Elefanten ruhen. Die großen Lichtgeschwindigkeitsfriedhöfe. Keine Ahnung, wieso ich das denke, dachte Pelletier. Flecken an der Wand und Flecken an den Händen, dachte Pelletier und betrachtete seine Hände. Verdammter Scheißserbe.
    Am Ende, als der Artikel bereits veröffentlicht war, mussten Espinoza und Pelletier zugeben, dass der Text des Serben indiskutabel war. Forschung, Literaturkritik, Aufsätze mussten sein und, wenn die Situation es erforderte, feuilletonistische Tiraden, aber kein solcher Zwitter aus Parawissenschaft und unvollendetem Kriminalroman, sagte Espinoza, und Pelletier stimmte ihm voll und ganz zu.
    Damals, Anfang 1997, verspürte Norton den Wunsch nach Veränderung. Einmal Urlaub machen. Nach Irland oder New York reisen. Sich endgültig von Espinoza und Pelletier lösen. Sie lud die beiden nach London ein. Pelletier, der schon ahnte, dass nichts Ernstes oder wenigstens nichts Unwiderrufliches im Anzug war, kam der Einladung umgehend und gelassen nach, bereit, zuzuhören und wenig zu reden. Espinoza dagegen fürchtete das Schlimmste (Norton könnte sie kommen lassen, um ihnen zu sagen, dass sie sich für Pelletier entschieden habe, dass sie aber für immer Freunde blieben, vielleicht bat sie ihn sogar, Trauzeuge bei ihrer bevorstehenden Hochzeit zu sein).
    Der Erste, der bei Norton in der Wohnung stand, war Pelletier. Er fragte, ob etwas Ernstes geschehen sei. Norton erwiderte, sie wolle mit einer Antwort lieber warten, bis Espinoza da sei, dann brauche sie nicht alles zweimal zu erzählen. Da sie sich nichts Wichtigeres zu sagen hatten, sprachen sie über das Wetter. Das

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