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285 - Am Nabel der Welt

285 - Am Nabel der Welt

Titel: 285 - Am Nabel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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kannst ja nichts dafür. Was passiert ist, lässt sich nicht wieder rückgängig machen. Aber vielleicht kommt irgendjemand irgendwann mal darauf, nachzusehen, wo wir abgeblieben sind. Jemand auf dem Mars, meine ich. Das wäre die einzige Chance, eines Tages -«
    »Ich dachte, du willst ein Teil von uns werden«, unterbrach Ivee sie misstrauisch. »Eben sagtest du das noch. Und jetzt quasselst du von Heimkehr zum Mars. Du bist nicht ehrlich zu mir, gib's zu!«
    »Das stimmt nicht, Ivee. Aber kennst du das nicht auch - wir nennen es Heimweh. Manchmal überkommt sie mich einfach, die Sehnsucht nach zuhause. Nach dem Ort, wo ich ohne Exoskelett und Atemmaske unbeschwert herumlaufen kann. Glaub mir endlich! Ich wäre gern wie du… oder die meisten anderen hier. Aber besteht auch nur die leiseste Hoffnung, von euch aufgenommen und akzeptiert zu werden? Sei ehrlich, kleine Ivee!«
    Vielleicht hätte sie darauf sogar etwas Brauchbares erwidert - aber in diesem Moment startete der Angriff auf das, was die Gemeinschaft - die, die dazugehörten - bereit war, mit ihrem Leben zu verteidigen.
    Wer immer die Angreifer waren, sie ahnten nicht, woran sie rührten - und welche Konsequenzen es für sie haben würde…
    ***
    Damon war dabei, als Gonzales zum Käfig trat und dem ehemaligen Dörfler ins Gewissen redete. Damon hörte nicht zum ersten Mal, wie ein Sünder darauf eingeschworen wurde, sich nicht noch einmal gegen das Wohl und Streben der Gemeinschaft zu stellen.
    Der junge Bursche im Käfig hieß Enno. Angeblich hatte er noch einen Zwillingsbruder, den Damon auch kannte, der aber kaum Ähnlichkeit mit Enno aufwies. Wenn die beiden wahrhaftig Zwillinge waren, hatte das Schicksal es nicht gut mit diesem hier gemeint: Sein Bruder war ein Ausbund an Kraft und Gewitztheit, Enno bot dagegen ein Bild des Jammers.
    Trotzdem fand Damon ihn sympathisch. Seit der Junge vor zwei Wochen den Versuch unternommen hatte, sich aus dem Lager zu entfernen, schmorte er im Käfig - und ebenso lange versorgte Damon ihn schon und unterhielt sich mit ihm.
    Eigentlich waren sie Leidensgenossen. Damon und Calora und all die anderen, die sich der Gemeinschaft angeschlossen hatten und ihr dennoch nicht wirklich angehörten.
    Es war ein leidiges Thema, aber allgegenwärtig.
    Und jetzt stand Damon parat, um den Käfig zu säubern, denn Claudius Gonzales war gekommen, um Enno zu begnadigen.
    Gonzales war ebenso wenig noch der Mann, den Damon einmal gekannt und geschätzt hatte, wie jeder andere Marsianer, der die Bruchlandung der CARTER IV auf diesem unwirtlichen Planeten mit seinen schwierigen Lebensbedingungen überlebt hatte. Die Einzige, die außer Damon die Alte geblieben war, war Calora. Damon war unendlich dankbar dafür; ohne die Geliebte hätte er seinem Leben vielleicht schon selbst ein Ende gesetzt. Das, was sie hier taten - tun mussten -, war eines Angehörigen seines stolzen Volkes nicht würdig.
    Aber diesen Stolz, der nach wie vor in Damon pochte, schienen die anderen Marsgeborenen vergessen zu haben. Sie fristeten ein Dasein, das von einer fixen Idee bestimmt wurde. Dieser Idee ordneten sie alles unter, und letztlich war sie es gewesen, die zum Absturz der CARTER IV geführt hatte.
    Nach der unfreiwilligen Ankunft auf der Erde war Damon zu der festen Überzeugung gelangt, dass die ehemals Versteinerten von einer Art kollektiver Geisteskrankheit zu ihrem Verhalten veranlasst wurden.
    Dass es noch weit darüber hinausging, hatte sich gezeigt, als eines Tages große Gruppen von Fremden aufgetaucht waren, die vom ersten Moment ihres Erscheinens an in die Gemeinschaft integriert wurden. Es war, als hätten sie schon vor ihrem Erscheinen zu den Marsianern aus der CARTER IV gehört. Aber es waren Menschen von der Erde, und sie kamen von weit her.
    Claudius Gonzales zog einen Schlüssel aus einer Tasche seiner lang fallenden Kutte, die das Exoskelett verhüllte, schloss die Käfigtür auf und winkte Enno heraus. »Ich hoffe, du hast deine Lehre aus dem, was war, gezogen.«
    Enno senkte den Kopf und murmelte eine Zustimmung, die ihm aber Mühe zu bereiten schien. Obwohl auch Gonzales das merken musste, ließ er den hageren und kleinwüchsigen jungen Mann einfach stehen und entfernte sich aus dem Schuppen.
    Damon wartete, bis er verschwunden war. »Freust du dich?«, wandte er sich an Enno.
    »Wo ist Jelle?«
    »Sie haben ihn immer noch nicht gefunden.«
    Die eben noch mürrisch verschlossene Miene des im wahrsten Sinne des Wortes Halbwüchsigen

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