3. Die Connor Boys: Diese Nacht kennt kein Tabu
hatten Gemeinsamkeiten, die sie zueinander geführt hatten. Aber es wäre verrückt, bildete sie sich ein, an seinen Gefühlen wäre mehr dran. Michael war für sie ebenso verboten wie Benjamin für Julia.
Furcht beschlich sie. Hatte sie sich etwa in ihn verliebt? Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie sich schon in ihn verliebt gehabt, bevor es passiert war. Jetzt hatte sich das Gefühl nur noch verstärkt.
Ihre Wangen brannten bei dem Gedanken an die vergangene Nacht. So kopflos war sie nie zuvor gewesen. Auf keinen Mann hatte sie so reagiert wie auf Michael. Er war eben ein besonderer Mann. Zum Glück würde er nie erfahren, wie viel ihr letzte Nacht bedeutet hatte. Sie würde einfach ihre Gefühle vor ihm verbergen.
Das hatte sie immer gut gekonnt. Nach außen hin gab sie sich praktisch, nüchtern und mitunter sogar zynisch, wenn es um Herzensangelegenheiten ging. Für sie war es kein Kunststück, alle Gefühle zu verdrängen.
Ein leises Klopfen an der Tür jagte ihr einen Schreck ein. Sie machte auf, und vor ihr stand Michael, das Haar zerzaust, die Augen schläfrig.
„Du warst weg", beschwerte er sich.
„Michael, ich musste mal ins Bad."
„Du warst lange weg. Ohne dich kann ich nicht schlafen." Seine Stimme klang heiser. „Was hast du denn, Schatz?"
„Nichts." Doch er nahm sie in die Arme, als glaubte er ihr nicht. Er rieb zärtlich seine Wange an ihrer, gähnte und lächelte sie müde an.
„Es ist erst halb sechs. Aber du bist hellwach, nicht wahr?"
„Ich fürchte schon."
„Also, verflixt, um die Uhrzeit kann man nicht viel machen. Eigentlich fällt mir nur eins ein."
Sie schaute ihn mit leuchtenden Augen an, doch gleichzeitig fürchtete sie sich ein bisschen. Sie wusste, was er meinte.
„Möchtest du?" murmelte er.
Ihr Puls nahm keine Rücksicht darauf, dass sie sich eben noch vor genommen hatte, kühl
und beherrscht zu sein, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Zumindest innerlich konnte sie ihre Gefühle nicht verdrängen. Sie berührte seine Wange. „Was hast du denn vor?"
„Hummer fangen."
„Wie bitte?"
„Hummer fangen", wiederholte er und lachte.
Das Anglergeschäft hatte vor Tagesanbruch geöffnet. Sie hatten schon ein paar Touristen bedient und gaben Simone und Michael in aller Ruhe ihre guten Ratschläge. Als sie das Geschäft verließen, befanden sich in Michaels Kofferraum Drahtnetze, ein Eimer mit Hühnerhälsen und ein geliehener schwarzer Eisentopf, in dem die Hummer gekocht wurden, falls sie welche fangen sollten.
„Ich hoffe, du weißt, was du tust, Schätzchen. Ich habe keine Ahnung davon", sagte er zu Simone.
„Aber sicher, ich habe das schon mehr als einmal gemacht." Das wusste er. Sie hatte ihm erzählt, dass sie als Kind Hummer fangen ging. Deshalb war er auch auf die Idee gekommen.
Es war nicht sein erster Gedanke gewesen. Lieber wäre er mit ihr um halb sechs wieder ins Bett gegangen und hätte sie bis Mittag geliebt. Aber irgendwie wirkte sie so verstört. Vielleicht machte sie sich Gedanken und bereute ihre gemeinsame Nacht. Sie hatte so blass ausgesehen, und ihre Augen waren so groß gewesen. Er hatte im ersten Moment nicht gewusst, was er sagen sollte. Typisch für ihn. Es war zum Verzweifeln, aber ihm fiel einfach nie das Richtige ein. Er hatte Angst gehabt, sie zu verschrecken, und da war ihm das mit den Hummern eingefallen.
Unterwegs machten sie Halt bei Simones Pension, damit sie sich umziehen konnte. Sie hatte sich eine Jeans, einen weiten Pullover und alte Tennisschuhe ausgesucht. In diesen legeren Sachen fühlte sie sich wohler. Mit dem im Nacken zusammengebundenen Haar sah sie aus wie ein Teenager. Ihre Wangen hatten wieder Farbe, und ihre Augen funkelten schelmisch. Hummer fangen war für sie wohl ungefährlich, denn es hatte nichts mit Sex zu tun.
Oder es sollte zumindest so sein.
Mit ihrer Ausrüstung fuhren sie dann wieder zu Michael. Die Leute aus dem Geschäft hatten zwar ein Dutzend Vorschläge ge macht, wo sie Hummer fangen könnten, aber Michael war noch keinem Fischer begegnet, der die Wahrheit sagte. Simone fand auch, dass die Bucht gleich hinter dem Leuchtturm ein ebenso idealer Ort fürs Hummerfangen wäre wie jeder andere.
Nebel zog noch immer über das Wasser, als sie mit ihren Sachen dort ankamen. Nach ihren Anweisungen - sie amüsierte sich köst lich, wie er alles gehorsam befolgte, was sie sagte -, band er die Hühnerhälse in den Drahtnetzen fest, dann warf er die Netze aus, damit sie auf den Meeresboden
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