365 Geile Nacht Geschichten Band 2 Juli
Ufer, stehen Büsche und Bäume dicht an dicht. Leider ist diese Vegetation nicht sehr großflächig. Einige Bäume sind krumm über das Wasser gewachsen, mit tiefhängenden Ästen. Genau das nutze ich jetzt aus.
Ich drücke mich tiefer ins Wasser, nutze die Deckung. Die Verfolger rennen oben an meinem Versteck vorbei, ich kann sie fluchen hören: „Wo ist der kleine Scheißer hin? Der kann doch nicht einfach weg sein!“
Lautlos lache ich in mich hinein. Bald werden sie aufgeben, dann kann ich wieder nach Hause. Diesmal bin ich allerdings nur mit knapper Not davon gekommen.
„Ach komm, Andreas, das traust du dich nie im Leben!“ Immer noch hallt Ragnars Spruch in meinem Kopf nach. Doch, ich habe mich getraut. Warum nur lasse ich mich immer wieder auf diese bescheuerten Wetten ein? So langsam sollte ich doch mal was gelernt haben. Aber nein, doof wie ich bin, hab ich mich erneut ködern lassen.
„Was kriege ich, wenn ich`s mach?“, frage ich den riesigen Kerl, der im Daimlerstadion neben mir sitzt. Unsere Heimmannschaft spielt gegen die Münchner, was wir uns nicht entgehen lassen wollen. Die Rivalität zwischen den Fans ist fast schon legendär.
„Lass mich überlegen … Ich hab`s, ich besorg dir Karten fürs Konzert der Ärzte! Na, ist das ein Wort?“ Ich nicke, und damit ist mein Schicksal besiegelt.
Ich schlucke eine Ladung Dreckwasser, das über mir zusammen geschlagen ist. Ein Ausflugsdampfer ist an mir vorbeigefahren, während ich in Erinnerungen versunken war. Die Welle hat mich voll erwischt.
Hustend und spuckend hangle ich mich wieder in Richtung Ufer, lausche kurz – alles ruhig – schiebe mich die Böschung hoch und gucke intensiv in alle Richtungen. Gut, sie sind weg.
Bibbernd, klatschnass und mit schlechter Laune komme ich nach knapp 45 Minuten Fußmarsch zu Hause an. Meine Finger sind blaugefroren und steif, sodass ich den Schlüssel kaum ins Schloss bekomme. Ich fluche wie ein Schifferkapitän und male mir schon seit meiner Flucht in Gedanken aus, wie ich Ragnar leiden lassen kann. Vielleicht versaue ich ihm den nächsten Fick, eine passende Revanche in meinen Augen.
Die Tür wird aufgerissen. Da ich nach vorne gebeugt bin, um das Schloss besser sehen zu können, falle ich kopfüber in den hell erleuchteten Flur. Ich bin nicht schnell genug mit meinen Reflexen und knalle mit dem Kopf auf den Boden. Seit wann kann ich die Sterne in meinem Flur sehen?
„Andreas! Was ist denn mit dir passiert?“ Stahlgraue Augen verdrängen die Sterne. Ich blinzle, die Himmelskörper verschwinden wieder im Weltall, dafür füllt Ragnars Präsenz mein ganzes Sichtfeld aus. Seine leicht gewellten, kinnlangen Haare fallen wie ein Vorhang nach vorne, kitzeln mich an der Nase.
„Hatschi!“, pruste ich und Ragnar stolpert zurück. HA!, denke ich. Da beugt er sich wieder zu mir runter, packt mich unter den Achseln und zieht mich hoch. Er schleift mich in unsere Wohnung – wir bilden eine WG, Studentendasein ist teuer -, und bugsiert mich direkt ins Badezimmer. Dort setzt er mich auf dem Klodeckel ab. Mit einer Bewegung zieht er sich das Shirt aus, welches eng an seinen gigantischen Oberarmmuskeln gelegen hat. Ich frage mich immer wieder, wie er es schafft, dass seine Shirts nicht reihenweise platzen, wenn er sich bewegt.
Seine Brust schiebt sich vor meine Augen. Abgelenkt durch seinen anbetungswürdigen Sixpack verstehe ich seine Frage nicht. Ob ich mich mal vorbeugen soll, um seine Nippel …?
„Andreas!“ Mein Kopf wird herumgeschleudert. Nur langsam hebe ich die Hand, um sie an meine brennende Wange zu legen. Ungläubig glotze ich in Ragnars Gesicht. In mir reißt etwas.
„Sag mal, geht’s noch? Erst werde ich durch die halbe Stadt gehetzt, von dir keine Spur. Dann der Sprung in den Neckar, der Fußmarsch, die Beule, und nun knallst du mir eine? SPINNST DU?“, brülle ich. Allerdings habe ich vergessen, dass ich mich vor lauter Kälte kaum bewegen kann und falle vom Klodeckel. Ragnar steht da wie erstarrt, und so mache ich jetzt Bekanntschaft mit den Badfliesen. Die sollten auch mal gründlicher geputzt werden, denke ich und bleibe liegen. Mir ist einfach zu kalt.
Ich höre ein Seufzen über mir, dann Wasserrauschen. Riesige Schaufelhände packen mich unter den Achseln, hieven mich hoch und über den Wannenrand. Ragnar hat mich mitsamt Klamotten in die Badewanne gesetzt.
„Nicht absaufen!“, weist er mich an und hantiert am Wasserhahn herum. Ganz langsam wird mir warm. Wortlos
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