38 - Wiedergeborenes Scorpio
den Armen meiner Träger, mein Kopf pendelte herab; ich wußte, wohin wir gingen, denn ich hörte die Tiere, das Wiehern und Schnauben, das Stampfen der Hufe, das Klatschen von Seilen gegen Pfosten.
»Werft ihn zwischen die Calsanys!« schlug Scrimshi vor und kicherte. Er schien ein ziemlich unangenehmer Bursche zu sein. »Nein«, sagte Llodi, »immerhin ist er krank.«
»Dann laß ihn hier liegen!« Nath regelte die Frage, indem er meine Füße auf den Boden knallen ließ. Ich fiel zur Seite und landete in einem Haufen Futtersäcke.
»So ist's recht.«
Llodi beugte sich über mich. »Du bleibst hier, Dom. Es wird schon wieder.«
»Wir sagen dem nächsten Wächter, er soll ein Auge auf dich haben.« Scrimshi atmete ein und blähte die Brust. »Ich rate dir, denk nicht an Flucht. Bestimmt will der Vad mit dir sprechen.«
Die Männer entfernten sich, um wieder ihren Wachdienst zu versehen. Ich hing meinen Gedanken nach. Ich war wirklich nicht in der Lage, mir eine Lictrix zu schnappen und fortzureiten. Eigentlich wollte ich das auch gar nicht. Ich gebe zu, ich war besorgt um die junge Abenteurerin Mevancy. Welche Erinnerungen sie an das Feuer hatte, wußte ich nicht; ich vermutete, daß sie nicht sehr weit bis vor den Moment zurückreichten, da sie mich ins Freie gezerrt hatte. Was sie betraf, hatte sie mich wirklich gerettet. Dabei würde ich es bewenden lassen.
Ich machte es mir auf den Futtersäcken bequem – und schlief ein.
4
»Du nennst mich Notor«, sagte Strom Hangol ham Fonral, als ich vor ihm zum Stillstand kam, umringt von Wächtern, die mich von allen Seiten gestoßen und geschubst hatte. »Du bist angeklagt, die Karawane, die du beschützen solltest, im Stich gelassen zu haben.«
Er saß an einem Tisch, auf dem sich eine große Doppelklingen-Axt und eine frisch gewendete Clepsydra befanden. Das tropfende Wasser wies eine angenehme rosarote Farbe auf. Im ersten Sonnenlicht des frühen Morgens war die Karawane ringsum beim Frühstück und würde bald weiterziehen. Rauch wallte auf, Essensgeruch lag in der Luft. Es würde ein schöner Tag werden. Womöglich auch mein letzter, wenn es mir nicht gelang, diesen dummen Strom, der sich zu meinem Richter aufgeschwungen hatte, Vernunft einzugeben. Wenn nicht der Tod, so drohte mir doch eine andere schlimme Strafe.
»Ich habe niemanden im Stich gelassen«, sagte ich, und es klang, als schnaube ein Bosk, der die Schnauze im Futtertrog hatte.
»Der Bursche ist zu allem Übel noch ein Idiot«, bemerkte der hagergesichtige Asket in blauer Robe, der dicht hinter Strom Hangol stand. Sein Gesicht erinnerte an ein Stück Käse, wie man es in eine Mausefalle steckt.
»Oder er tut nur so, San Hargon.«
Die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich auf der Silbermaske, die die rechte Seite von Hangols Gesicht bedeckte. Sie war nicht sichtbar gewesen, als er unter uns vorbeigeritten war, ehe Mevancy sich aus ihrem Versteck begab. Das Metall mochte eine Maske sein; vielleicht aber auch eine Art Ersatzhaut.
Natürlich ließ sich schnell vermuten, daß die Entstellung, die das Tragen einer Maske nötig machte, tiefe Spuren in Hangols Psyche hinterlassen hatte, so daß es ihm nun darauf ankam, dem restlichen Kregen das anzutun, was er hatte erleiden müssen. Nun ja, nur weil eine solche Vermutung auf der Hand lag, mußte sie nicht zwangsläufig falsch sein. Ich gebe zu, daß ich jetzt lieber Vad Leotes als Richter vor mir gesehen hätte; mein erster Eindruck dieses Mannes war eher positiv gewesen. Mir ist zwar klar, daß der folgende Satz eine große Selbstbezogenheit erkennen läßt, die ich im Grunde verachte, die ich aber als Herrscher von Vallia gebraucht hatte – ich wußte, daß ich als Herrscher Vad Leotes zu einem nützlichen und loyalen Edelmann hätte erziehen können, der fest zur Krone stand. Aber diese Zeiten waren vorbei. Nun mußte ich diese hohen Herren auf andere Weise beeinflussen.
»Gib ihm einen Stoß, du!« sagte Hangol zu dem Wächter links von mir. Gehorsam stieß er mir den Speerschaft in die Seite. Ich war nicht gefesselt, meine Hände waren frei. Ich versuchte den Hieb abgleiten zu lassen, mußte aber doch nach Luft schnappen. Beim Schwarzen Chunkrah! Ich hatte ja überhaupt keine Kraft mehr!
Ich öffnete den Mund und versuchte einige zusammenhängende Worte zu sagen, bekam aber nur ein Gurgeln heraus.
Der Asket in der blauen Robe sagte angewidert: »Ein Idiot.«
»Du scheinst recht zu haben, San. Kein Wunder, daß die Karawane
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