4 Meister-Psychos
niemanden.«
»Kann noch kommen.«
Tessa war trotzig. Das würde
lange anhalten. »Ich hab’ mal gelesen, wenn man irgendwo hingeht und erschießt
irgend jemanden — einen Wildfremden, ohne Motiv, man geht weg und vergißt es —
, dann finden sie es nie heraus. Niemals.«
»Möglich. Kann gutgehen oder
auch nicht. Ich habe aber ein Motiv, du Unglücksvogel. Gerade hat er mich
hinausgeworfen. Hinauswerfen lassen vielmehr durch Richardson. Ich schleiche
erb. Ich will dich und das Geld. Als ersten werden sie mich am Wickel haben.
Und bei dir ist es nicht viel anders.«
Sie schabte auf meiner Brust
herum. »Ich dachte nur — wenn man jemanden findet, der es tun würde...«
»Jemanden finden? Guter Gott!
Ein Inserat, was? ›Mörder gesucht. Angenehmes Betriebsklima, hohe
Sozialleistungen, Altersversorgung gesichert. Die Dotierung entspricht der
Bedeutung der Position. Es wollen sich nur Spitzenkräfte mit langjährigen
Erfahrungen bewerben. Lichtbild und Vorstrafenregister erbeten.‹ Oder wie
denkst du dir das?«
»Aber er muß doch auch jemanden
gefunden haben.«
Ich zählte Tessas Rückenwirbel
mit den Fingern. »Wir drehen uns im Kreis herum, mein Kind. Wir müssen etwas
anderes ausknobeln oder die Sache sein lassen.«
»Selbstmord?«
»Selbstmord? Vorgetäuscht
meinst du? Möglichst noch mit fingiertem Abschiedsbrief, wie? ›Ich mache
Schluß. Ich bin am Ende.‹ Dein Vater und Schluß machen! Eher siehst du die
Themse rückwärts fließen!«
Ich fand heraus, daß Tessa den
Daumen in den Mund geschoben hatte. Ein Zeichen von Nachdenken.
»Ja, mach nur einen Plan«,
sagte ich, »und sei ein großes Licht. Wenn du fertig bist, mach noch einen
Plan...
Der Daumen kam heraus. »Er hat
aber mal von Selbstmord geredet.«
»Was?«
»Ja. Mara hat so was erzählt.
Ich war noch klein damals. Als Mutti gestorben war, da wollte er auch nicht
mehr und hat sich erschießen wollen.«
»Wenn ich nicht irre, hat er es
nicht getan. Kann sich nur um heftige Phrasen gehandelt haben.«
»Die Großmutter hat Selbstmord
gemacht, das weiß ich.«
»Wirklich?«
»Ja. Veronal.«
»Warum?«
»Weiß ich nicht genau. Sie soll
Depressionen gehabt haben, Angstzustände — so ‘ne Art Verfolgungswahn.«
Ich legte mich wieder flach auf
den Rücken und ließ meine Hand unter Tessas Schulterblatt.
Ferne Geräusche waren draußen,
wie sie nie ganz verstummen in einer Stadt.
»Depressionen«, murmelte ich,
»eine gewisse Veranlagung könnte da sein. Vererbung. Man müßte sich
überlegen...«
»Was? Red schon!«
»Ach es ist nichts.
Hirngespinste. Reicht allenfalls für einen drittklassigen Krimi in der
Provinzpresse. Man müßte sich überlegen, ob man diese Neigung fördern kann,
wenn sie in ihm stecken sollte. Den Vorsatz realisieren, indem man die
Hemmungen wegnimmt.«
»Und wie?«
»Es wäre nur ein Versuch. Eins
gegen neunundneunzig, daß es nicht funktioniert. Aber versuchen ließe es sich,
und vor allem ist kein Risiko dabei, wenn es nicht klappt. Völlig unverbindlich
sozusagen.«
»Was ist es? Sag mir’s!«
»Hast du mal was gehört von
LSD?«
»LSD?«
»Ja. L wie London, S wie
Selbstmord, D wie Doppelmord.«
»Nein.«
»Das ist aber äußerst
rückständig von dir. Moderne Menschen, modernes Leben. Man raucht nikotinarm
und nimmt LSD. Es ist das derzeit gefragteste Rauschgift. Ganze Stadtteile
leben vom Vertrieb. Marihuana und Mescalin machen Pleite.«
»Weiter!«
»Erst einen Whisky, Madame.
Ohne Whisky kann ich keine wissenschaftlichen Vorträge halten.«
Tessa lief in die Küche. Sie
mixte sehr schnell. Ich trank im Liegen und fand immer mehr Gefallen an meiner
Idee, je wohliger meine Magenwände brannten.
»LSD«, sagte ich, »ist die
Abkürzung für Lysergsäure-Diäthylamid. Die Chemie ist nicht weiter wichtig. Ron
hat bestimmt mehr davon gewußt als ich. Das Zeug ist ein sogenanntes
Psychodelicum, ein Bewußtseinserweiterer. Richtet an den Schaltstellen im Gehirn
etwa den Schaden an wie eine Atombombe in einem Elektrizitätswerk. Allerdings
im Gegensatz dazu nur vorübergehend. Macht Illusionen und Halluzinationen
zugleich, wenn dir der Unterschied bekannt ist.«
»Ist er nicht.«
»Tief bedauerlich. Die
Illusionen orientieren sich am vorhandenen Gegenstand. Sie brauchen etwas
Gegebenes. Du siehst eine Hütte und machst ein Schloß daraus. Die Halluzination
braucht keinen Gegenstand. Du erfindest Trugbilder aus dem Nichts. Weiße Mäuse
und Spinnen im Delirium, das sind Halluzinationen.
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