434 Tage
überwiegen. Ich wünschte, ich wüsste, was richtig ist. Wenn man es genau nimmt, habe ich Tobias ein lebenslanges Versprechen gegeben. Aber wie kann man jemandem so ein Versprechen überhaupt geben? Ich weiß nicht einmal, was ich kommende Woche mache. Ich habe keine Ahnung, was ich heute zu Mittag essen werde. Und dann renne ich los und verspreche jemandem, ihn bis an mein Lebensende zu lieben? Ich kann nicht ganz bei Trost gewesen sein. Wieso heiraten Menschen überhaupt?
Ich stehe unter der Dusche und genieße das kühle Wasser auf meiner Haut. Und während ich spüre, dass ich langsam wach werde, scheint die Lösung plötzlich da zu sein. Tobias hat keine Chance gegen Julian. Und zwar, weil ich ihm keine gebe. Wir schlafen nicht miteinander, weil ich nur noch mit Julian schlafe. Wir kochen nicht miteinander, weil ich vorgebe auswärts zu essen und stattdessen Julian treffe. Wir lachen nicht mehr, weil ich so zerfressen bin von Schuldgefühlen. Vielleicht sollte ich einfach mit Tobias schlafen. Vielleicht sollte ich ihm einfach zeigen, was ich will. Vielleicht würde ich ihn dann wieder anders sehen. Begehrenswerter.
Ich steige aus der Dusche und trockne mich oberflächlich ab, dann gehe ich zurück ins Schlafzimmer. Die Sonne scheint durch den Spalt zwischen den Vorhängen und malt Muster an die Wände. Ich schiebe die Decke zur Seite und lege mich ganz dicht neben Tobias. Ich genieße die Wärme seines Körpers auf meiner Haut. Als er die Augen öffnet, scheint er irritiert. So als hätte er einen wundervollen Traum gehabt, der sich auf einmal als die Realität entpuppt.
…
Völlig außer Atem liegen wir nebeneinander. Tobias Augen sind geschlossen, sein Mund ist zu einem breiten Grinsen geformt.
„Mein Gott, das war… das war...“ Er dreht sich zu mir und strahlt. „Das war fantastisch.“ Ich zittere am ganzen Körper. Und auf eine unerklärliche Weise fühle ich mich in seiner Gegenwart so lebendig wie lange nicht mehr. So als wäre ich zum ersten Mal seit Langem wirklich in meinem Leben. In dem Leben, das ich neun Jahre lang geführt habe. Und ich kann nicht anders, als ebenfalls blöd zu grinsen. „So habe ich dich noch nie erlebt.“
„Ich dich auch nicht.“, flüstere ich und küsse ihn auf die Stirn.
„Wieso hast du das vorher nie gemacht?“
Das ist eine wirklich gute Frage. Warum habe ich das nie? Vermutlich, weil es so einfacher war. Und weil ich das vergangene Jahr jemanden hatte, der keine Anweisungen gebraucht hat. „Ich weiß es nicht“, sage ich nach einer Weile. „Vielleicht, weil ich wollte, dass du weißt, was ich will, ohne dass ich etwas sagen muss.“
„Ich war vermutlich nicht kreativ genug und vielleicht auch nicht einfühlsam genug.“
„Nein, das hat nichts mit dir zu tun, es lag an mir, ich hätte ja...“
„Lass uns jetzt nicht darüber reden“, unterbricht er mich, „lass es uns lieber gleich noch mal tun.“
Kapitel 14
Es ist nur ein Abendessen. Ein völlig harmloses, unschuldiges Abendessen. Nichts weiter. Und warum sollte ich alleine essen. Ist doch albern. Wir sind zwei erwachsene Menschen, die sich von früher kennen und gemeinsam zu Abend essen. Da ist doch nichts dabei. Ich meine, das passiert doch andauernd. Gut, wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, aber die ist inzwischen wirklich lange her. Fast schon verjährt. Das zählt eigentlich nicht. Ich meine, wir waren ja fast noch Kinder. Er hebt die Hand und winkt mir zu. Und wieder lächelt er dieses Lächeln. Das Lächeln, das meinen Dämon aus dem Schlaf reißt.
„Anja, hallo.“ Ich weiche seinem Blick aus und setze mich. „Schön, dass du gekommen bist.“
„Es wäre ja auch irgendwie albern, wenn ich mich alleine an einen Tisch setze und du drei Tische weiter an einem anderen zu Abend isst.“
„Es ist ja auch nur ein Essen.“ Er greift nach seinem Glas. „Ich glaube, heute nehme ich ein Nudelgericht. Dem Fisch traue ich noch nicht ganz über den Weg. Was meinst du?“
„Ein Nudelgericht klingt gut.“
Wenig später bestellen wir beide die hausgemachten Bandnudeln in getrüffelter Sahnesauce und eine große Flasche Mineralwasser.
„Und du willst sicher keinen Wein?“
Bloß nicht. Das fehlte noch. „Besser nicht. Nach dem gestrigen Abend, bin ich da lieber vorsichtig“, lüge ich. „Ich bleibe bei Wasser.“
„Ist sicher besser.“
Und während Julian mir von seinem Plan für den kommenden Tag erzählt, steigt eine seltsame Mischung aus Nervosität und
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