45 - Waldröschen 04 - Verschollen
über den Kreis der Bewohner von Rheinswalden.
Als alle, auch die eingehendsten Nachforschungen vergeblich blieben, sah man sich gezwungen, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Der Schmerz war groß und konnte nur durch die wie ein Balsam wirkende Zeit gemildert werden. Es breitete sich über die Gesichter der Zug einer stillen Entsagung, man klagte nicht mehr, aber man bewahrte den Verschollenen ein tief in der Seele lebendes Angedenken und hütete sich wohl, zu gestehen, daß die Hoffnung doch noch nicht ganz und gar verschwunden sei.
So vergingen sechzehn volle, lange Jahre, bevor die Reihe der Begebenheiten, welche jetzt abgeschlossen gewesen schien, endlich eine Fortsetzung nahm. –
In einem der feinsten Etablissements Berlins, welches nicht weit vom Tiergarten gelegen war und ausschließlich von Offizieren und außerdem höchstens nur von hochgestellten Zivilbeamten frequentiert wurde, saßen eines Morgens eine Anzahl junger Leute beisammen, welche, nach ihren Uniformen zu schließen, den verschiedensten Truppengattungen angehörten. Sie hatten sich zu einem jener feinen Frühstücke zusammengefunden, bei denen das Kuvert oft einige hundert Mark zu stehen kommt, und schienen von dem genossenen Wein bereits in eine sehr angeheiterte Stimmung versetzt zu sein.
Dieses Frühstück war die Folge einer Wette.
Leutnant von Ravenow, welcher bei den Gardehusaren stand, besaß ein ungeheures Vermögen, war als der hübscheste und flotteste Offizier bekannt und freute sich einer solchen Beliebtheit bei den Damen, daß er sich rühmte, niemals einen Korb bekommen zu haben. Nun hatte sich vor einiger Zeit ein russischer Knäs (Fürst) in Berlin niedergelassen, dessen Tochter eine seltene Schönheit war und deshalb von der jungen Herrenwelt vielfach umworben wurde. Sie schien diese Bewerbungen gar nicht zu bemerken und wies jede Annäherung so stolz und nachdrücklich zurück, daß sie allgemein für eine erklärte Männerfeindin gehalten wurde. Auch Leutnant von Golzen, der bei den Kürassieren von der Garde stand, hatte sich eine öffentliche und darum höchst fatale Zurückweisung geholt und war in Folge dessen von seinen Kameraden ausgelacht worden. Der fleißigste Lacher war von Ravenow gewesen, und um sich zu rächen, hatte von Golzen ihm angeboten, um ein solennes Frühstück zu wetten, daß auch er sich einen Korb holen werde. Ravenow hatte die Wette sofort angenommen und – gewonnen, denn er ging seit einigen Tagen in Gesellschaft der Russin aus, und es war erwiesen, daß sie ihm ihre Zuneigung widmete.
Heute nun hatte Golzen die Wette zu bezahlen, und die Kameraden sorgten in ausgelassener Weise dafür, daß zu dem Schaden auch der Spott nicht fehlte.
„Ja, Golzen, es geht dir gerade wir mir!“ schnarrte ein langer, spindeldürrer Hauptmann, der die Schützenuniform trug. „Uns beiden bleibt Hymens Gunst versagt, aus welchem Grund, das mag der Teufel wissen!“
„Pah!“ lachte der Angeredete. „Bei dir ist es sehr leicht erklärlich, daß du kein Glück bei den Damen hast. Wer dich heiratet, hätte drei Meilen Knochensammlung glücklich zu machen, und das ist eine Arbeit, welche man wohl einem Präparator, nicht aber einer Dame zumuten darf. Was aber mich betrifft, so fühle ich meinen Stolz nicht im mindesten verwundet. Ich habe zwar meine Wette verloren, doch nicht um eines Korbes willen, sondern weil Ravenow keinen erhalten hat. Ich bin überzeugt, daß er auch seine Meisterin finden wird, die ihn zur Retirade zwingt.“
„Ich?“ fragte Ravenow. „Wo denkst du hin! Ich bin bereit, eine jede Wette einzugehen, daß ich überall siege.“
„Oho!“ klang es im Kreis.
„Ja“, wiederholte er. „Eine jede Wette und ein jedes Mädchen. Auf Ehre!“ Er schlug sich mit der Hand an die Stelle, an welcher der Griff seines abgelegten Degens zu finden gewesen sein würde, und blickte sich auffordernd im Kreis um. Seine geröteten Wangen bewiesen, daß er dem Wein nicht langsam zugesprochen hatte, und so mochte es kommen, daß er seine Erfahrungen höher anschlug, als er durfte. Golzen erhob warnend den Finger und sagte:
„Nimm dich in acht, Alter, sonst nehme ich dich beim Wort.“
„Tue es!“ rief Ravenow. „Nimmst du mich nicht beim Wort, so erkläre ich, daß du dich scheust, ein zweites Frühstück zu bezahlen.“
In den Augen Golzens blitzte es auf. Er fuhr empor und fragte:
„Jede Wette gehst du mit ein?“
„Jede“, lautete die schnelle übermütige Antwort.
„Jedes
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