46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
erkannten uns, und ich war gerettet. Du arbeitetest für mich; du teiltest den Ertrag der Jagd mit mir; du verschafftest mir endlich die Stelle als Gesellschafterin der Dame, mit welcher ich dann hierher nach Mexiko kam. Ich schulde dir mein Leben und noch mehr.“
„Ist nicht der Rede wert, mein Kind. Du hast seitdem genug für mich und unsere Sache getan. Ich hatte nie geglaubt, daß aus dem kleinen Kind, das ich auf meinen Armen trug, und aus dem verzweifelnden Frauenzimmer am Ufer des Mississippi eine solche Dame werden könnte. Emilia, du bist schön, du bist entzückend, ja berauschend.“
Er schob den leeren Teller von sich, um sie genau zu betrachten. Da flog sie von ihrem Sitz auf ihn zu. Sie setzte sich auf seinen Schoß, drückte seinen Kopf an ihren entzückenden Busen und sagte:
„Gerard, dies alles nützt mir nichts. Nur dich, dich, dich allein möchte ich erobern und berauschen; dein Weib möchte ich sein, wenn auch nur für ein kurzes Jahr, und dann glücklich sterben. O Gott, warum kann dies nicht sein!“
Sie hielt ihn fest an sich gepreßt und weinte. Er schob sie langsam von sich und sagte: „Wir passen nicht zueinander. Wir beide sind leidenschaftlich; wir beide haben zu viel gelebt; wir können uns nicht ergänzen. Siehst du es nicht ein?“
Sie nahm ihre Arme von seinem Hals und antwortete: „Leider sehe ich es ein, mein guter Gerard. Wer von uns beiden sich verheiratet, der darf sich nur mit einem ruhigen, versöhnenden Charakter verbinden. Wir aber würden einander nur unglücklich machen. Aber – aber –!“
Sie schritt hastig einige Male im Zimmer auf und ab, dann blieb sie vor ihm stehen, zeigte mit den beiden schönen Armen rund umher und fuhr fort: „Das alles danke ich dir. Blicke mich selbst an! Denkst du, ich wisse nicht, wie schön ich sei? Denkst du, ich wisse nicht, welchen Eindruck ich mache und welche Macht ich ausübe? O, ich analysiere mich täglich selbst. Ich stehe vor dem Spiegel und betrachte mich. Ich lasse alle Kleider fallen und studiere meine Formen, um zu erfahren, wie ich sie zu behandeln habe. Keine Falte meines Gewandes liegt ohne Berechnung; jedes einzelne Haar meines Kopfes muß sich der Aufgabe fügen, den möglichst großen sinnlichen Eindruck zu machen. Sieh mein Haar! Gibt es ein zweites von dieser Länge und Fülle?“
Sie zog die goldene Nadel heraus, und nun wallte die dunkle, verführerische Flut fast bis zum Boden hinab.
„Sieh mein Auge, meine Nase, meinen Mund, mein Kinn, mein Profil, meinen Kopf! Hast du jemals einen Kopf gesehen, der schöner wäre als der meinige, und wäre es auch ein Gemäldekopf!“
„Nein“, antwortete er mit voller Überzeugung.
„Sieh meinen Hals! So rein, so schlank und doch so üppig, meine Schulter krönend. Sieh diese Schultern selbst! Du bist der einzige, der kalt bei ihrem Anblick bleibt.“
Endlich kehrte sie wieder zu ihm zurück und nahm auf einem Stuhl Platz. Ihr Gesicht war bleich, ihre Züge kalt, und ihre Stimme hatte einen Ton wie Heiserkeit, als sie sagte:
„Das wunderbarste ist, daß ich dich fort liebe, daß keine Spur von Haß, kein Gedanke an Rache in meinem Herzen Platz nimmt. Ich könnte mich für dich aufopfern; ich könnte zu deinen Füßen für dich sterben wie ein Hund, den sein Herr tötet und der ihm noch im letzten Augenblick die Hand leckt. Laß uns nicht weiter davon sprechen; reden wir von unseren Geschäften!“
„Ja, das wird besser sein, liebe Emilia“, antwortete er.
„Daß es einen neuen Prätendenten gibt, weißt du?“
„Einen, der Präsident werden will?“
„Ja.“
„Ich hörte noch nichts davon. Wer ist es?“
„Ein gewisser Cortejo aus Mexiko. Ich glaube, er heißt Pablo Cortejo.“
Gerard horchte auf. Er kannte den Namen Cortejo nur zu gut. Er hatte ihm in dem Buch gefunden, welches er Don Alfonzo abgenommen hatte, nachdem er ihn vorher garottiert hatte, in demselben Buch, welches ihm später in Rheinswalden von dem Waldhüter abgenommen worden war.
„Cortejo? Was ist er?“
„Er war Verwalter des Grafen Ferdinande de Rodriganda.“
„Ah!“
„Kennst du den Grafen, oder vielmehr, kanntest du ihn?“
„Ich habe von ihm gehört.“
„Er ist gestorben schon vor langen Jahren. Kennst du auch diesen Cortejo?“
„Nur dem Namen nach. Aber wenn er in Mexiko ist, wie kann er da prätendieren? Die Hauptstadt befindet sich ja in den Händen der Franzosen!“
„Ich habe gesagt, daß er aus Mexiko sei, nicht aber in Mexiko. Er befindet sich
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