49 Stunden
Gefühl, kaum noch atmen zu können.
Ich bin so dumm, dachte sie, so dumm, so dumm. Wäre ich doch einfach hier geblieben, dann hätte ich weiter mit Tamara spielen können und morgen hätte mich Bob zurück zu meiner Mommy gebracht. Aber ich musste weglaufen, und nun bin ich hier oben, allein. Es ist meine eigene Schuld, ich bin so dumm.
Katie hatte den Bahnhof gesehen, nachdem sie immer weiter den Gleisen gefolgt war. Über ihr war eine Bahn gefahren, sie hatte gerattert, so wie die Bahnen es in der Stadt taten, da, wo ihre Mommy arbeitete.
Sie war schon ganz aus der Puste gewesen, doch sie war die Treppen hoch gelaufen, hatte schon die Schranke sehen können. Sie wäre einfach drunter durch geschlüpft, vielleicht hätte niemand etwas gesagt. Oder eine nette alte Dame hätte ihr eine Fahrkarte gekauft.
Sie hatte es fast geschafft. Doch dann hatte sie den dicken Arm gespürt, der sich um ihre Taille legte. Er hatte sie grob gepackt und die Stufen wieder runter gezogen.
Marge hatte den ganzen Weg nach Hause nichts gesagt, sie nur wütend angesehen, wobei ihr Sabber die Mundwinkel herunterlief wie einem Hund.
Sie hatte sie eine Weile getragen, über der Schulter. Doch irgendwann war sie ihr wohl zu schwer geworden und sie hatte sie runter gelassen, ihre Hand genommen und sie hinter sich her geschleift.
Katie hatte unglaubliche Angst, was jetzt wohl mit ihr passieren würde. Sie hatte Bob doch versprechen müssen, dass sie artig war. Wenn sie es nicht war, hatte er gesagt, würde sie ihre Mommy nie wieder sehen.
›› Es tut mir leid, Mommy‹‹, sagte sie in den leeren Raum hinein, während große Tränen ihr die Wangen hinunter liefen. ››Es tut mir so leid.‹‹
***
Mary hörte das Telefon klingeln. Sie schreckte auf. War das etwa der Kidnapper mit neuen Anweisungen?
Als sie auf das Display ihres Handys blickte, sah sie aber, dass es nur Dillon war. Sie nahm nicht ab, wollte jetzt nicht mit ihm sprechen. Wenn die ganze Sache vorbei war, würde sie sich vielleicht noch einmal mit ihm verabreden, und dann würde alles anders laufen.
Wenn die Sache vorbei war …
Würde sie je vorbei sein? Konnte sie sich da wirklich sicher sein? Ihre Tochter war in den Händen von eiskalten Mördern. Wie konnte sie da tatsächlich glauben, sie würden sie heil gehen lassen? Was ließ sie denken, diese Männer würden ihr Katie überhaupt je wiederbringen und sie nicht töten, wenn Mary die Sache erledigt hatte? Sie brauchten sie dann nicht mehr. Sie war dann nicht mehr von Nutzen.
Sie musste irgendeine Möglichkeit finden, in Kontakt zu den Entführern zu treten. Sie musste ihnen sagen, sie sollen ihr erst Katie wiedergeben. Erst dann würde sie die Kautionssache regeln.
Ach, was dachte sie denn, wer sie war? Wie könnte sie mit solchen Menschen verhandeln? Die ließen ganz sicher nicht mit sich reden. Mary konnte sich glücklich schätzen, wenn Katie nicht schon längst tot war.
Wieder stiegen ihr Tränen ins Gesicht. Sie dachte daran, dass Katie, wo immer sie jetzt war, bestimmt auch weinte. Sie würde sie so gerne trösten, ihr sagen, dass alles gut wird. Es war so eine aussichtslose Situation, sie wusste ja selbst nicht, ob alles gut werden würde.
Sie sah auf die Uhr: 17:02.
Genau 24 Stunden seit Katies Verschwinden.
Immer und immer wieder überlegte Mary, ob es richtig gewesen war, die Polizei nicht einzuschalten. Wie hätten andere Mütter in solch einer Situation gehandelt? Wäre irgendeine Mutter auf dieser großen weiten Welt dazu imstande gewesen, die Forderungen zu missachten und somit das Leben ihres Kindes zu riskieren?
24 Stunden waren bereits vergangen. Wie viele Stunden musste sie sich noch gedulden? Wie lange durfte sie noch hoffen?
***
Carlo sah durch den Spion. Es war zum Glück nur die alte Mrs. Klein, die sich wahrscheinlich wieder mal nur eine Tasse Zucker ausleihen wollte. Er hatte jetzt aber echt keinen Nerv auf Getratsche und tat so, als wäre er nicht zuhause.
Als sie weg war, wartete er noch fünf Minuten und verließ dann die Wohnung.
Er schüttelte den Kopf. Fast hätte er geglaubt, die Bullen ständen bei ihm vor der Tür. Was Unsinn war, da er sich sicher war, dass die Richterin sie nicht informiert hatte. Trotzdem, er musste auf der Hut sein. Es konnte immer mal sein, dass durch einen blöden Zufall irgendwer darauf stoß, dass bei der Richterin etwas nicht in Ordnung war. Sie war Richterin – da hatte sie garantiert eine Menge Freunde bei der Staatsanwaltschaft und der
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