50 - Schatten über Kregen
Seite stand ein einladendes Sofa mit gemusterten Seidenpolstern. Aber die wichtigsten Dinge standen auf einem runden Tisch mit einem Bein. Ordentliche Speisen aus den Tropen lagen neben weißem und braunem Brot auf großen Platten, und das Fehlen jeglichen Fisches erinnerte mich daran, daß Ahrinye mich gut kannte. Zumindest glaubte er, mich gut zu kennen. Die Krüge waren aus ziseliertem Silber – vielleicht hatte er aus den weichen Metallkrügen etwas gelernt!
Ich goß Ale ein und ließ den Wein stehen – zumindest für den Augenblick.
Dann setzte ich mich und griff herzhaft zu. Schließlich handelte es sich um eine Henkersmahlzeit.
Ahrinyes unangenehme Stimme schnitt durch die warme Luft.
»Du siehst, wie sehr ich um dein Wohlbefinden besorgt bin. Diene mir gut. Die Everoinye haben nie verstanden, dich richtig einzusetzen.«
Ich kaute und staunte. Ich konnte mir nicht vorstellen, Ahrinye stets falsch eingeschätzt zu haben. O nein, bei Vox! Jetzt stand erst einmal das Mädchen auf dem Programm.
Die körperlose Stimme fuhr fort und verriet mir, was er wollte. Und das überraschte mich noch mehr als die Sorge um mein Wohlergehen. Mein Val! Hier war doch tatsächlich ein Herr der Sterne, der mir in allen Einzelheiten erklärte, was er von mir erwartete. Ich aß, trank und hörte zu.
»Nath Arovan, der König von Muldaur, heiratete ein unfruchtbares Weib. Eine seiner Sklavinnen, Ismelda, trägt nun seine Zwillinge unter dem Herzen. Die Königin, die den Namen Tovah die Ungestüme trägt, hat das Mädchen voller Wut heimlich an einen Sklavenhändler verkauft. Der König glaubt, sie hätte ihn verlassen und sei fortgelaufen. Die Sklavenhändler haben das Mädchen an die Katakis weiterverkauft. Der König ist untröstlich und hat jeglichen Lebenswillen verloren.«
An dieser Stelle verstummte er. Ich hielt den Mund. Er würde schon zum Kern der Sache gelangen, wenn er es für richtig hielt, obwohl mein Auftrag ziemlich offensichtlich erschien. Also stopfte ich mich so voll, wie es nur möglich war. Bei Djan! Schließlich wußte ich ja nicht, wann ich das nächste Mal Gelegenheit zum Essen hatte, nicht wahr?
»Du wirst die Shishi Ismelda dem König zurückbringen.«
Das war keine große Überraschung. Schließlich hatten mich die Herren der Sterne zu diesem Zweck nach Kregen zurückgeholt, nachdem die Savanti mich verstoßen hatten. In ihrem Auftrag rettete ich Menschen. Dafür war ich da. Natürlich war das nicht mein Beruf, denn sie bezahlten mich nicht dafür – abgesehen von dem gelegentlichen Glas Wein. So wie jetzt.
»Nun, Dray Prescot? Hast du dazu nichts zu sagen?«
»Warum?«
»Ich nahm es nur an, schließlich hast du doch sonst immer etwas dazu sagen.«
»Nein. Das heißt, warum ist dieser kleine König so wichtig?«
Er stieß einen krächzenden Laut aus, der möglicherweise ein Lachen gewesen war. »Der König ist unwichtig.«
Also handelte es sich hier um eine jener Aufgaben, die mit den Jahrhunderte umspannenden Plänen der Herren der Sterne zu tun hatte. Hier ging es also um die Zwillinge des Mädchens. Als Erwachsene würden sie zweifellos Taten vollbringen, die die Geschicke Kregens veränderten.
Die schneidende Stimme fuhr fort: »Vergiß nicht, Dray Prescot. Was du zu sehen glaubst, könnte eine Illusion sein.«
»Dessen bin ich mir bewußt.«
Ich fragte mich müßig, ob es sich bei den Riesenkrabben um Trugbilder gehandelt hatte. Sie waren über den Strand gestreift. Doch Schanake hatten sie nicht aufgefressen, wie man vielleicht hätte erwarten können. Die Stelle, an der ich ihn abgelegt hatte, war ziemlich sicher gewesen. Doch in die Taue verstrickt, hatte er nicht die geringste Aussicht gehabt, dem Schicksal als Krabbenfutter zu entgehen.
Ein Schweigen setzte ein, das für Unterhaltungen mit den Herren der Sterne so bezeichnend war. Es wurde von einer zweiten Stimme gebrochen, die flüsternd aus dem Nichts kam. »Ist das alles? Das scheint keine große Aufgabe zu sein.« Das war Razinye.
Ich wollte ihm gerade eine passende Antwort geben, als Ahrinye sprach, und ich erkannte, daß Razinye ihn und nicht mich angesprochen hatte. Entdeckte ich da in Ahrinyes Worten einen gewissen Stolz? Die beiden Everoinye stritten zwar nicht, waren aber doch offensichtlich anderer Meinung. Ich entnahm dem allen, daß Schanakes Anwesenheit nicht zu ihrem Plan gehört hatte. Sie schienen sich eher darum zu sorgen – und das zu Recht –, was Zena Iztar wohl täte, falls sie sich zum Eingreifen
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