Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
es mir nicht glauben? Ich müßte Sie zu meinem Verleger führen, um es mir von ihm bestätigen zu lassen.“
    „Nein, das ist nicht nötig! Ich will es wissen, ich muß es wissen, ob Sie der Geist sind, den ich bewundert habe und der es meiner Seele angetan hat. Und ich werde es erfahren, gleich jetzt, sofort! Hier liegt Papier, und hier ist Tinte und Feder. Soll ich Ihnen ein Sujet geben? Können Sie mir sofort ein Gedicht schreiben?“
    Er blickte ihr selbstbewußt lächelnd in das erregte Gesicht und antwortete in seinem milden, freundlichen Ton:
    „Versuchen Sie es, mein Fräulein!“
    „Nun wohl! Ich werde Ihnen ein Sujet geben, ein Sujet, welches Ihren Eigenheiten, Ihrer wundervollen Sprache, Ihren funkelnden Reimen ganz angepaßt ist: Der Seesturm. Denken Sie sich die Fee des Meeres auf dem stillen, tiefen Meeresgrund. Sie hat noch nie ein menschliches Gefühl im Herzen getragen, bis sie einst glückliche Menschenkinder belauschte. Da begann es auch in ihrem Herzen zu wogen und zu wallen; es gärte, spritzte, zischte, es donnerte und – wissen Sie, was ich meine?“
    „Ja, Fräulein.“
    „So nehmen Sie hier Papier!“
    „Das ist nicht nötig. Ich werde extemporieren.“
    „Bringen Sie das fertig?“
    „Ich möchte den, welcher nicht Herr der Sprache ist, auch niemals einen Dichter nennen!“
    „Sie mögen recht haben. Gut, beginnen Sie!“
    Er blickte ihr einen Augenblick lang sinnend in die dunklen Augen und sagte dann:
    „Fräulein, ich müßte Sie schildern. Sie haben der kalten, gefühllosen Meeresfee geglichen, bis ein Funken des Lichtes in Ihr Auge, in Ihr Herz gefallen ist. Hören Sie:
    Wo keiner Stimme Töne klangen,
Am Grunde der kristallnen See,
Da liegt, vom Schlummer lind umfangen
Im Zauberschloß die Meeresfee.
Sie träumt von Liebe, träumt vom Leben,
Das über ihrem Reiche rauscht,
Dem, von Triton und Elf umgeben,
Sie oft verborgen zugelauscht –“
    Er wollte fortfahren, aber sie faßte seinen Arm und sagte:
    „Halt! Sie sind Hadschi Omanah, ja, Sie sind es! Das ist seine Sprache; das ist sein Ausdruck und sein Reim. Herr, ich habe Sie schwer beleidigt, indem ich an Ihnen zweifelte; ich habe Sie um Verzeihung zu bitten!“
    „Ich verzeihe Ihnen gern“, sagte er einfach. „Es hat mich noch niemand, der mich sah, für einen großen Geist gehalten; wie sollte ich da Ihnen zürnen! Also Sie haben meine Tropen- und Wüstenbilder gelesen?“
    „Hundertmal, nein, tausendmal! Aber nein, sprechen wir jetzt nicht von Ihnen, sondern von den Gründen, welche Sie veranlassen, uns diese Kette zu bringen. Wir werden natürlich diesen Pfand nicht annehmen, sondern Ihnen auch soviel bieten, wie Sie brauchen.“
    Das war ihrem Vater doch ein wenig zu großmütig. Er konnte sich mehr für Pfandscheine als für Gedichte begeistern.
    „Judith!“ warnte er.
    „Ich danke Ihnen, Fräulein!“ fiel Robert ein. „Ich kann Ihnen für ein Darlehen keine andere Garantie bieten, als diese Kette, und ohne Garantie werde ich keinen Pfennig nehmen.“
    „Hörst du es, Rebekkaleben?“ fragte der Alte. „Habe ich doch nie geglaubt, daß ein Dichter von Reimen und Versen auch kann haben einen Sinn für Ordnung im Handel und Wandel der Welt von die Geschäfte!“
    „Gut!“ sagte Judith, „so wollen wir die Kette nehmen. Sagen Sie, wieviel Sie brauchen!“
    Jetzt wurde er verlegen. Zu extemporieren hatte er sofort vermocht, aber eine exakte Summe anzugeben, das fiel ihm schwer.
    „Ich habe es mir wirklich noch nicht genau ausgerechnet“, sagte er.
    „Genügen fünfzig Taler?“
    Es war zu verwundern, daß der gute Salomon Levi bei dieser Zahl nicht einen Angstschrei ausstieß oder vor Schreck einen Purzelbaum schlug. Selbst Robert machte eine Bewegung der Überraschung und sagte:
    „Das ist zuviel, Fräulein! Soviel brauche ich doch wohl nicht.“
    „Das ist mir gleich. Ich gebe Ihnen fünfzig Taler auf diese Kette, nicht mehr und nicht weniger. Zahle es ihm aus, Vater! Oder soll ich es ihm aus meiner Kasse geben?“
    „Nein, nein! Wenn du es würdest geben aus deiner Kasse, so würdest du es geben ohne Prozente und Gewinn. Und der Mann von das Geschäft muß essen und trinken selbst dann, wenn er leiht fünfzig Taler einem Dichter, welcher macht Reime, von denen ein jeder ist wert neunzig Taler und acht Silbergroschen.“
    Er holte das Geld herbei und zählte es vor Robert auf. Es ist nicht zu beschreiben, welche Wonne dieser fühlte, als er die blanken Geldstücke vor sich liegen sah! Jetzt

Weitere Kostenlose Bücher