66095: Thriller (German Edition)
von dem Gefühl überwältigt, alles, was er in den vergangenen zehn Jahren getan hatte, sei umsonst gewesen. Bodysurfen und Schwimmen waren seine Rettung gewesen und hatten ihn in der verrückten Welt der höheren Physik geistig gesund erhalten. Und trotzdem war er nie auf die Idee gekommen, Chester das Schwimmen beizubringen.
»Chester, ich …«, rief ihm Swain vom Boot aus zu. »Du hast doch eine Schwimmweste. Hab jetzt keine Angst.«
Boulter warf den 120 PS starken Außenbordmotor an. »Er hat Recht, mein Junge. Es ist die beste Schwimmweste, die für Geld zu haben ist.«
Der dickliche Teenager machte noch immer keine Anstalten, ins Boot zu steigen. »Chester, bitte«, flehte Swain.
Sichtlich widerstrebend watete Chester ein Stück ins Wasser, hievte sich ins Boot und ließ sich auf den Passagiersitz fallen. Er zitterte wie ein gestrandeter Fisch. Swain half ihm, die orangefarbene Schwimmweste anzulegen. »Dir wird nichts passieren.«
»Doch«, knurrte Chester. »Ich werde ertrinken – wegen euch und einem idiotischen Stein vom Mond.«
Noch bevor Swain etwas erwidern konnte, schaltete der Polizist den Tiefenmesser und das LORAN-Navigationssystem ein und brüllte; »Haben Sie die Koordinaten parat, Swain?«
Swain zog den Reißverschluss seines gelben Regenmantels auf, sah auf die Liste mit Längen- und Breitengradmessungen und gab Boulter die Daten durch. Boulter tippte die Zahlen in das Funkortungsgerät ein, legte den Gang ein und fuhr rückwärts in die Strömung. Das Boot wurde seitlich weggedrückt. Eine Welle schwappte über das Dollbord. Boulter musste gegensteuern und den Motor auf Touren bringen. Das Boot schlingerte und drohte seitwärts abzudriften, doch dann brachte der starke Außenbordmotor das Boot auf Kurs. Es fuhr jetzt zielstrebig flussaufwärts. Der Rumpf schlug auf die aufgewühlte Wasseroberfläche. Bei jedem Aufprall schwappte Gischt über den Bug.
»Helfen Sie mir, das Geröll im Wasser zu sichten«, brüllte Boulter.
Swain taumelte, dann fand er mit gespreizten Beinen Halt, indem er sich an der Verstrebung der Windschutzscheibe festklammerte. Es regnete so heftig, dass die drei das Gefühl hatten, nicht vom Fleck zu kommen. Ringsum nur tosendes Wasser, Gischt und Kälte. Der Fluss bäumte sich auf. Baumstümpfe, abgebrochene Äste und Bauholz von zerstörten Häusern, die die Flut mitgerissen hatte, wurden im Wasser herumgewirbelt. Auch eine Waschmaschine, ein herrenloses Auto und etwas, das aussah wie ein Windmühlenflügel. Doch mit Swains Hilfe gelang es Boulter, all diesen Hindernissen auszuweichen, und nach zehn Minuten kam der Jenkins-Kamm in Sicht, der wie ein in Nebel gehülltes Mausoleum wirkte.
»Mach die Sensoren bereit, mein Junge«, rief Boulter zu Chester hinüber, der wie paralysiert dasaß.
»Chester, um Himmels willen, die Sensoren«, brüllte Swain. »Wir müssen die Messungen durchführen!«
Die Hände des Jungen zitterten wie im Krampf, als er den Reißverschluss seines Regenmantels aufzog und das tragbare Messgerät herausholte. Boulter brüllte die Werte für die Wassertiefe: »Sechs Meter sechzig … sechs … dreizehn Meter fünfzig! Hier ist der Austritt! Führ deine Messungen durch, Junge. Ich kann das Boot nicht lange so halten!«
7.20 Uhr
Östliche Höhlen
Bailey-Kamm
Labyrinthhöhle
Die Gänge tief unter dem Bailey-Kamm, dem fünften der neun Bergkämme des Labyrinthsystems, ähnelten mit ihrer hoch gewölbten Decke und den kandelaberartigen Tropfsteinformationen den Wandelgängen eines Opernhauses. Die Sedimente waren fest, aber elastisch wie fest getretener Sand. Von einer dieser weiträumigen Hallen zweigte eine Grotte ab, die wie ein Iglu geformt war. Von hier führte ein langer Tunnel in eine Rotunde, wo Cricket in ihren NASA-Schlafsack gehüllt am Boden lag.
Durch das Echo des Gemurmels und Schlurfens in der Dunkelheit wurde Cricket wach. Ein heller Lichtschein streifte ihre geschlossenen Augen und erlosch. Sie hörte Schritte, die sich entfernten. Nach zwei Tagen in der Höhle war ihr das Gefühl für Tag und Nacht abhanden gekommen. Sie konnte nicht einmal sagen, wie lange sie geschlafen hatte, nur dass es ein schwerer traumloser Schlummer gewesen war. Im Schlafsack war es so warm und gemütlich, dass sie gleich wieder eindöste. Aber dann hörte sie irgendwo hinter sich ein Flüstern.
»Wenn wir den Felsen erreicht haben, brauchen wir Puffy Daddy nicht mehr, hörst du?«, flüsterte Kelly. »Wir brauchen gar niemanden
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