7 Werwolfstories
erhielt. Sie ist Mitglied der Theatergemeinde ›Maske und Dolch‹ und der Rho-Rho-Rho- Verbindung.
Wolfe Wolf strahlte. Das war ein glücklicher Zufall. Nun brauchte er nicht bis zum Ende des Semesters zu warten. Er konnte Gloria schon jetzt sehen und sie mit wölfischem Ungestüm umwerben. Freitag – heute war Mittwoch –, also noch zwei Nächte, in denen er sich in der feinen Kunst des Werwolfs üben konnte. Und dann …
Er bemerkte, daß der ältere Professor niedergeschlagen aussah, und eine reuige Anwandlung überkam ihn. »Wie ging’s gestern abend, Oscar?« fragte er freundlich. »Hat die Walpurgisnacht- Feier geklappt?«
Fearing warf ihm einen eigenartigen Blick zu.
»Hast du es inzwischen herausgefunden? Gestern bedeutete dir das Datum des dreißigsten April gar nichts.«
»Ich war neugierig geworden und habe nachgesehen. Also, wie war’s?«
»Ganz gut«, log Fearing. »Weißt du, Wolfe«, fragte er nach einer kurzen Pause, »was der Fluch eines jeden Menschen ist, der sich für das Okkulte interessiert?«
»Nein. Was?«
»Daß die wahre Macht nie genug ist. Für einen selbst vielleicht, aber nicht für die anderen. Gleichgültig, über welche echten Fähigkeiten man verfügt – man muß immer die Grenze zur Gaukelei überschreiten, um die anderen überzeugen zu können. Denk nur an St. Germain oder an Francis Stuart, oder an Cagliostro. Aber die größte Tragödie ist, wenn man erkennt, daß die eigenen Kräfte stärker sind, als man selbst angenommen hat, und daß man sich überhaupt nicht irgendwelcher Tricks hätte zu bedienen brauchen. Wenn man erkennt, daß man sich über die Grenzen seiner Kräfte gar nicht im klaren ist. Dann …«
»Was dann, Oscar?«
»Dann, mein Junge, fängt man an, sich zu fürchten.«
Wolf wollte ihm etwas Tröstendes sagen. Er wollte sagen, hör mal, Oscar, ich war’s. Kehr ruhig wieder zu deinen Tricks zurück und sei glücklich. Aber das konnte er nicht. Nur Ozzy durfte die Wahrheit über den prächtigen grauen Wolf wissen. Nur Ozzy und Gloria.
Die einsame Stelle im Canon lag im hellen Mondlicht. Die Nacht war still. Und Wolfe Wolf litt sehr unter Lampenfieber. Jetzt, da es soweit war – das Fiasko von heute morgen zählte nicht, und an gestern abend konnte er sich kaum erinnern –, fürchtete er sich vor dem Sprung ins Wolfsleben und versuchte, den Augenblick möglichst lange hinauszuzögern.
»Glauben Sie«, fragte er den Zauberer nervös, »daß ich Gloria beibringen könnte, wie man sich verwandelt?«
Ozymandias überlegte. »Vielleicht, Kollege. Es käme darauf an. Vielleicht ist sie eine Naturbegabung, vielleicht nicht. Und man kann natürlich nicht vorhersagen, in was sie sich verwandeln würde.«
»Sie müßte nicht unbedingt eine Wölfin werden?«
»Natürlich nicht. Wer die Fähigkeit besitzt, kann alles mögliche werden. Und jede Rasse hat spezielle Interessen. Wir haben eine englisch-mitteleuropäische Tradition; daher wissen wir am besten über Werwölfe Bescheid. Aber in Skandinavien hört man viel von Werbären, nur nennt man sie dort Berserker. Und im Orient sind es Wertiger. Es ist ein Jammer, daß wir uns so viel mit den Werwölfen beschäftigen, daß wir nur diese Zeichen erkennen können. Ich wüßte zum Beispiel nicht, woran ich einen Wertiger sofort erkennen könnte.«
»Man kann also nicht wissen, was passiert, wenn ich sie die Zauberformel lehre?«
»Nein. Es gibt natürlich Wertiere, die nicht erstrebenswert sind. Zum Beispiel Werameisen. Man verwandelt sich, jemand tritt drauf, und aus ist’s. Oder wie der Mann, den ich auf Madagaskar kennenlernte. Ich sagte ihm das Zauberwort, und was geschah? Er wurde zum Werdinosaurier, und bei der Verwandlung zertrümmerte er das ganze Haus. Beinahe
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