7 Werwolfstories
Arnos Zimmer öffnete sich, und heraus kam Tanja. Angela preßte sich tiefer in den Schatten und hielt den Atem an. Sie zitterte. Ihr war gar nicht bewußt geworden, wie lange sie sich in ihrem Zimmer aufgehalten hatte. Aber es mußte sehr lange gewesen sein, wenn Tanja inzwischen Zeit gefunden hatte, aus dem Keller ins Obergeschoß zu kommen und nach ihrem Sohn zu sehen.
Oder war sie überhaupt nicht im Keller gewesen?
Doch, sie mußte im Keller gewesen sein, denn Angela hatte deutlich Geräusche gehört.
Inzwischen war Tanja aus ihrem Blickfeld entschwunden. Angela hörte sie die Stiegen ins Erdgeschoß hinuntersteigen, und wartete so lange, bis die Geräusche unten verstummten. Das schien eine Ewigkeit zu dauern. Endlich war es wieder still, und Angela wagte sich hinunter.
Sie hatte gerade das Obergeschoß erreicht, als der erste Schuß fiel. Das Herz schlug ihr bis zum Halse, und sie hatte sich noch nicht von dem ersten Schrecken erholt, als ein zweiter Schuß aufbellte.
Angela mußte sich aufs Treppengeländer stützen, denn ihre Beine drohten ihr den Dienst zu versagen. Jetzt weinte sie haltlos.
Sie wußte nicht, was vor sich ging, aber ihre Phantasie malte ihr die schrecklichsten Dinge aus.
Und doch – an die Schrecken der Wirklichkeit kam ihre Phantasie nicht annähernd heran.
Der dritte Schuß peitschte durchs Haus.
Jemand schrie.
Angela wollte schleunigst fort von hier. Sie rannte die letzten Stufen hinunter. In ihrer Eile rutschte sie aus und fiel. Da krachte es zum viertenmal. Sie raffte sich auf und wollte schon auf die rettende Eingangstür zurennen, als sie entdeckte, daß ihr die Briefpapiermappe bei dem Sturz entfallen war. Ihr schwindelte, als sie sich danach bückte. Sie schluchzte auf. Da lagen Briefbögen und Kuverts wirr durcheinander, und es hätte eine Ewigkeit gedauert, wenn sie sie alle aufgehoben hätte. Deshalb nahm sie nur das Sparbuch und rannte zum Ausgang.
Sie sah nicht, daß die Kellertür sperrangelweit offenstand, als sie daran vorbeirannte. Ein weiterer Schuß fiel, und jemand schrie mit schriller, sich überschlagender Stimme: »Komm nur. Komm herein und töte sie!«
Diese Stimme ging Angela durch Mark und Bein. Bald würde sie dieses schreckliche Haus verlassen haben und würde dankbar in Umbertos Arme fallen. Ihre Hand streckte sich nach der Klinke aus, umfaßte sie, drückte sie mit letzter Anstrengung hinunter.
Die Haustür war verschlossen!
Angela wollte aufschreien, aber nur ein trockenes Krächzen löste sich aus ihrer Kehle. Sie mußte weg von der Tür, jeden Augenblick konnte Tanja auftauchen, oder jene andere Person mit dieser schrillen, unheimlichen Stimme. Wenn sie hier entdeckt würde! Sie sah schon eine Pistole auf sich gerichtet, und dahinter lauerte eine teuflisch grinsende Fratze mit zusammengekniffenen Augen, nahm Ziel …
Kein Schuß fiel. Angela befand sich allein in der Diele, sie stieß sich taumelnd von der Tür ab und lief zum Stiegenaufgang. Ihr einziger Gedanke war, das Obergeschoß zu erreichen und durch ein Fenster der Nordseite ins Freie zu springen. Tiefer als drei Meter würde sie nicht fallen, und selbst wenn sie sich einen Knöchel verrenkte oder brach, war das immer noch besser, als im Hause zu bleiben.
Noch während sie die Stufen hinaufhastete, fiel ihr ein, daß das Kinderzimmer auf der Nordseite lag. Sie hatte Arno immer gerne gemocht, schließlich konnte er nichts für seine Mutter …
Mit zitternden Händen stieß sie die Tür zum Kinderzimmer auf.
Mein Gott, dachte Angela, wenn das alles nur bald ein Ende hätte. Es war finster im Kinderzimmer, weil kein Schimmer des Mondlichtes hereinfiel. Angela bahnte sich einen Weg zum Fenster und stieß in ihrer Hast einen Sessel um, das folgende
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