7 Werwolfstories
als er. Jetzt war er der Herr im Haus, und die Verantwortung für den nächsten Todesfall würde auf ihm lasten.
Er ging im Zimmer herum, überzeugte sich, daß die Fenster geschlossen und die Kruzifixe an ihrem Platz waren, und knipste die Lampen aus. Der Knoblauch fing an ranzig zu werden – er stank wie Mercaptan –, war aber, soweit er es beurteilen konnte, noch wirksam. Er ließ eine Lampe brennen, nahm sein Gewehr und ging in den Korridor hinaus.
Die Tür von Doris’ Zimmer stand offen, doch fiel kein Lichtschimmer heraus. Anscheinend war sie noch oben und kümmerte sich um Newcliffe. Ein paar Minuten stand er unentschlossen da, dann zog er sich mühsam die Treppe hinauf.
Er fand sie in Carolines Zimmer, den Kopf auf den Arm gelegt, inmitten der umhergestreuten kostbaren Dosen und Flaschen, die zu Carolines kosmetischem Inventar gehörten. Das Zimmer war erstaunlich verspielt eingerichtet; selbst über dem Telefon saß eine Puppe. Dies war wohl der einzige Raum gewesen, den Caroline als ihre ureigene Domäne betrachtet hatte, wo die athletische Gutsherrin der sehr weiblichen Frau hatte weichen müssen.
Und was hatte wiederum die anmutige Frau verjagt? War sie in eine entfernte Ecke ihres Seins gedrängt worden, als Caroline von dem Untier, das sich in ihr entwickelte, mehr und mehr in Besitz genommen wurde? Was spielte sich im Gehirn eines Werwolfs ab?
Gestern abend zum Beispiel, als sie Doris’ Haar bürstete, war sie ihm ganz und gar wie die Caroline Newcliffe mit dem schönen Gesicht und dem leeren Verstand vorgekommen, für die er eine echte Zuneigung fühlte. Aber da war sie schon im Besitz des anderen. Sein Hals zog sich schmerzhaft zusammen, als er sich bewußt wurde, daß in ihrer mütterlichen Fürsorge schon etwas von der gespannten Aufmerksamkeit des Jägers gelegen hatte.
Männer sind so hartnäckig. Ist es nicht wundervoll, wie wichtig Chris für uns geworden ist?
In diesem Augenblick hatte sich ihr Ziel von Doris zu Chris verlagert, und das hatte nur Footes Bemerkung über seine Unfähigkeit bewirkt, ohne die Hilfe des Psychiaters zurechtzukommen. Heute abend hatte er gesagt, daß Chris das logischste Angriffsziel gewesen sei, weil er der Experte war – doch das war Caroline gar nicht klar zu Bewußtsein gekommen, höchstens als Nachgedanke. So arbeitete der Verstand eines Wolfs; Caroline selbst hatte zuerst nur die Gefahr erkannt, die in der Hartnäckigkeit lag.
Und es war Caroline, die Frau, und nicht der Wolf gewesen, die Doris ursprünglich als erstes Opfer auserkoren hatte. Schließlich war Doris, dank Toms Vorliebe für maskuline Sportarten und seiner Abneigung gegen moderne Mädchen, die einzige andere Frau auf der Party gewesen; und Caroline hatte erwähnt, daß Tom sich zu Doris hingezogen fühlte. Wo fing der Wolf an, wo hörte der Mensch auf? Oder waren beide ineinander verschmolzen wie zwei ursprüngliche harmlose Substanzen, deren Verbindung giftig ist? Früher war Caroline zur Eifersucht nicht fähig gewesen, aber als das Übel ihr Blut verseuchte, war sie nicht mehr nur sie selbst gewesen.
Er seufzte. Doris, die fest zu schlafen geschienen hatte, rührte sich, und als er über die Schwelle trat, fuhr sie auf. Ihre Augen waren gerötet und hatten einen merkwürdigen Ausdruck.
»Entschuldigen Sie«, sagte er, »aber ich habe Sie gesucht. Ich muß mit Ihnen reden, Doris. Bis jetzt habe ich es immer wieder aufgeschoben, aber jetzt kann ich das nicht mehr länger. Darf ich?«
»Ja, natürlich, Paul«, sagte sie müde. »Ich habe mich Ihnen gegenüber schäbig benommen. Es ist zwar etwas spät für eine Entschuldigung, aber ich möchte sagen, daß es mir leid tut.«
Er lächelte.
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