9 - Die Wiederkehr: Thriller
trafen auf die Scheibe. Leo fuhr in seinem Sitz auf. Er sah seinen Vater mit eingezogenem Kopf dasitzen. Den Rumpf nach vorn ausgerichtet, den Kopf kaum zu ihm hingewandt, blickte ihn Amador aus den Augenwinkeln an. Wie er atmete, gefiel Leo gar nicht. Behutsam befreite er eine Hand und nahm den Geldschein vom Schoß seines Vaters. Es war ihm jetzt egal, ob dieser ihn zittern sah. Doch er zitterte gar nicht mehr. Ohne den Blick von den Augen seines Vaters abzuwenden, nahm er das Geld. Amador wandte den Kopf erneut Richtung Ladeneingang. Der Plastikbezug des Lenkrads knirschte unter seinen Händen.
»Ich warte hier auf dich«, sagte er.
Leo öffnete die Beifahrertür. Wortlos stieg er aus. Als er sich allein vor dem Open wiederfand, dachte er erneut daran wegzulaufen. Die Zehen in den Boden krallend, hielt er sich zurück. Er zerknüllte den feuchten Geldschein in der Faust.
Und machte den ersten Schritt.
Amadors Blick folgte seinem Sohn. Dabei wurde Leo immer unschärfer. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Das ist was Ernsteres, dein Sohn ist nicht normal. Das ist dir klar, oder?, dachte er.
Um es nicht in sich hineinfressen zu müssen, wie er so vieles über so viele Jahre hinweg in sich hineingefressen hatte, brüllte Amador irgendetwas Unverständliches in die Leere des Wagens hinein. Der Krampf in der Kehle löste sich, und mit ein paar heftigen Schluchzern verschaffte er sich Erleichterung.
Dann sah er die Türen zum Open aufgehen.
Er sah auch, wie Leo einen Mann mit einer Lederjacke vorbeiließ, während er mit einer Traurigkeit, wie er sie sich noch nie in seinem Leben zugestanden hatte, daran dachte, wie Victoria sich vorhin an der Tür über ihren eigenen Sohn lustig gemacht hatte.
Auf einmal hörte er das anhaltende Hupen eines Autos, das in voller Fahrt in die Straße des Open bog. Amador wischte sich die Augen und drehte sich neugierig um.
Als er Victoria erkannte, krampfte sich ihm das Herz zusammen.
Sie saß auf dem Beifahrersitz eines fremden Wagens. Ihr Oberkörper ragte aus dem Fenster, wie eben noch der von Leo. Sie wedelte mit den Armen. Am Steuer konnte Amador eine weitere Frau ausmachen. Sie gestikulierte wild und schrie auf die Windschutzscheibe ein. Victoria schrie ebenfalls, während der Wind an ihrem Haar zerrte. Das Licht der Autoscheinwerfer flackerte wie bei einem Wackelkontakt.
Amador saß da wie gelähmt.
Dann hörte er das Quietschen der Bremsen neben sich.
Beim Aussteigen verhedderte sich Victoria in ihrer Hast und landete mit dem Gesicht auf dem Boden.
Andrea rannte schon auf den Laden zu. Der Wind riss ihr die Tränen aus dem Gesicht. Unter den Sohlen, schon voller Benzin- und Teerflecken, spürte sie den heißen Asphalt.
Mit einem Mal verwandelte sich das jetzige Open in das Open von vor neun Jahren. Andrea rannte zu Aarón. Sie sah vor sich, wie sich ihre Haut im reflektierenden Blaulicht der Streifenwagen einfärbte. Sie erinnerte sich an den Turnschuh am Ende eines ausgestreckten Beins auf dem Fußboden des Ladens. Sie spürte Aaróns feuchte Brust an ihrem Gesicht.
Andrea schrie, um wieder zurück in die Gegenwart zu finden.
Sie überlegte, die Türen zu zerschlagen.
Sie in tausend Stücke zerbersten zu lassen.
Sie lief schneller, als die Automatik reagieren konnte. Sie würde durch die Scheibe springen müssen, um den Jungen in die Arme zu schließen.
Um Aarón wieder in die Arme zu schließen.
Da ertönte der erste Schuss.
Von insgesamt drei.
Andrea bremste abrupt, rutschte auf dem Kies aus und zog sich eine blutende Wunde am rechten Fuß zu.
Victoria spürte einen Stich im Magen, wesentlich schmerzhafter als die Stiche, die sie fühlte, wenn sie sich wegen ihres Sohnes schämte.
Amadors Pupillen weiteten sich, bis ihm das Neonlicht in den Augen schmerzte. Dreimal fuhr er im Sitz hoch, bei jedem Schuss einmal, war aber nicht imstande, die Hände vom Lenkrad zu nehmen.
Als Andrea den Mann mit der Lederjacke aus dem Laden herauskommen und zu einem Wagen mit laufendem Motor rennen sah, der neben einer Zapfsäule auf ihn wartete, sank Andrea in die Knie. Der Hund an der Tür bellte und kämpfte mit einer zu kurzen Leine. Im Ladeninnern fuchtelte ein hagerer Mann mit den Armen und schrie nach Hilfe.
Sich mit beiden Händen abstützend, gelang es Victoria aufzustehen. Sie spuckte etwas Dreck aus. Dann schritt sie auf die Türen des Open zu. Vorbei an Andrea, die die Ellbogen auf die Knie gelegt und das Gesicht in den Händen verborgen
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