9 - Die Wiederkehr: Thriller
und so schritten sie in Richtung Eingang. Es war ein sonniger, aber kalter Tag. Dennoch war es Tradition, zur Präsentation der neuesten Attraktion im Sommer-Outfit oder zumindest mit sommerlichen Accessoires zu erscheinen. Die meisten Leute hatten ein Handtuch über der Schulter hängen. Manche trugen Schwimmreifen auf den Hüften. Und die Allerkühnsten standen sogar in Badeanzug und Flipflops in der Schlange. »Im Aquatopia ist immer Sommer.« Mit diesen Worten schloss der Bürgermeister jedes Jahr seine Rede, als hielte er sie zum ersten Mal.
Leo starrte ununterbrochen vor sich auf den Boden, alles andere als erpicht, auf ein bekanntes Gesicht zu stoßen. Als sie ein paar Meter gegangen waren, erblickte er ein sich im Sand schlängelndes Kabel. Er machte seine Mutter darauf aufmerksam, die wie ein langbeiniger Vogel mit gestrecktem Hals vor ihm herstolzierte und die Menschenmenge in Augenschein nahm.
»Ein was?«, fragte sie, kurz bevor sie über das Kabel stolperte. »Was zum Teufel …?«
Sie geriet auf ihren hohen Absätzen ins Wanken, schaffte es aber, sich auf den Beinen zu halten, und entkam der unberechenbaren Zinkschlange in letzter Sekunde.
»Na, so was! Da ist ja das Fernsehen! Komm mit, Schatz!«, rief sie und fuchtelte aufgeregt mit den Armen.
Sie schritt auf eine kleine, rundliche Frau mit Mikrofon zu, deren Aufmerksamkeit der Kinderschar galt, die sich vor ihr drängte, während sie mit ausgestreckter Hand einem langhaarigen Mann hinter sich Anweisungen gab.
»Entschuldigung«, sprach Victoria die Reporterin an. »Sie können mir gerne eine Frage stellen, wenn Sie möchten.«
Die Reporterin versuchte die Kinder zu beschwichtigen, die in die ausgeschaltete Kamera winkten und aufgeregt um sie herumsprangen.
»Wir sind nicht auf Sendung, Kinder«, erklärte sie, bevor sie sich zu Victoria umwandte.
»Ich bin mit meinem Sohn hier«, sagte Victoria und zeigte auf Leo, der ein paar Meter hinter ihr mit dem Rücken zur Kamera stehen geblieben war. »Er ist acht Jahre alt. Da, da hinten ist er.«
Eine Frau mit langen roten Haaren, die offenbar auf der Suche nach jemandem war, stieß mit Leo zusammen. Die Frau entschuldigte sich und versuchte, dem Jungen ins Gesicht zu sehen, der steif wie ein Stock dastand und sich weigerte, den Blick zu heben.
»Na los, Schatz, du kommst ins Fernsehen!«, rief sie. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich auch mit drauf bin? Es wäre großartig, wenn mein Mann uns sehen könnte. Er muss dieses Wochenende arbeiten. Er ist Anwalt in einer renommierten Kanzlei«, sagte sie scheinbar beiläufig. »Er kann heute leider nicht dabei sein.«
»Natürlich, Señora, natürlich filmen wir Sie gerne. Heute ist ein Familientag«, antwortete die junge Reporterin mit einem strahlenden Lächeln.
Victoria war der Meinung, dass Frauen, die keine gute Figur hatten, zur Freundlichkeit geradezu verpflichtet waren. Sie zog die Mundwinkel nach oben und zwang sich zu einem steifen Lächeln.
Schlurfend und mit jedem Schritt kleine Staubwolken aufwerfend näherte sich Leo seiner Mutter.
»Wir sind so weit«, verkündete Victoria. Sie richtete sich kerzengerade auf, warf das Haar zurück und zupfte noch schnell ihren Blazer zurecht. »Stellen Sie uns Fragen, oder erzählen wir einfach etwas?«
Leo erklärte seiner Mutter laut und deutlich, damit es auch die Leute vom Fernsehen hören konnten, dass er nicht die Absicht hatte mitzumachen. Dass er weder ins Fernsehen noch irgendwelche Fragen beantworten wollte.
»Aber das wirst du«, widersprach sie, ohne den Blick von der Reporterin abzuwenden. »Deine Klassenkameraden werden dich beneiden, du wirst sehen. Ab morgen wollen sie alle deine Freunde sein.«
Ihre rechte Hand senkte sich wie eine Zange auf seine Schulter. Leo schnürte es die Kehle zu. Die Wut drohte ihm die Tränen in die Augen zu treiben, aber es gelang ihm, sie zurückzuhalten. Die Reporterin gab dem Kameramann ein Zeichen und hielt Leo das Mikrofon hin.
»Hallo, junger Mann, wie heißt du, und wie alt bist du?«
»Ich heiße Leo«, sagte er. »Ich bin am 12. Juni 2000 geboren, rechnen Sie es selbst aus.«
Victoria hörte den Widerwillen in seiner Stimme, entschied sich aber es zu ignorieren.
»Wir sind heute hierhergekommen«, – sie beugte sich hinunter, um auf Leos Höhe ins Mikrofon zu sprechen, und richtete sich dann auf, wobei ihr die Reporterin mit dem Mikro folgte – »weil wir finden, dass Arenas eine großartige Stadt ist, gerade für Familien, und weil wir
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