9 - Die Wiederkehr: Thriller
auf.
»Ich muss Isaac Canal anrufen«, sagte er zu dem Hähnchenfleisch, als er den heißen Teller aus der Mikrowelle nahm.
Hellwach wie nach acht Stunden Schlaf kehrte er zum Tisch zurück. Ein kurzer Blick auf seine Aufzeichnungen genügte, um sich die Übereinstimmungen wieder ins Gedächtnis zu rufen.
»Dieser Mann kann mir sicher noch mehr sagen, zumindest das Alter seiner Familienangehörigen.«
Aarón griff nach einem Kugelschreiber, um etwas auszurechnen. Er erinnerte sich daran, dass er Isaac gefragt hatte, wie viel Zeit zwischen den beiden Überfällen auf das Geschäft lag. Er lächelte über dem Blatt Papier, wie er damals in der Apotheke gelächelt hatte, als er mit zwei einfachen Fragen herausgefunden hatte, dass Alma Blanco gar keine Antidepressiva mehr einnehmen musste, so sehr sie auch darauf bestand. Er hatte gelächelt, weil er im richtigen Moment genau die richtigen Fragen gestellt hatte.
Mitten in einer Subtraktion stand er auf und suchte, ohne den Stift aus der Hand zu legen, im Internet nach der Telefonnummer der Uhrenfabrik Canal. Diesem Mann schien die Möglichkeit einer eigenen Internetseite noch nicht in den Kopf gekommen zu sein. Aarón griff stattdessen auf ein uraltes Exemplar der Gelben Seiten zurück, das er unter der Spüle aufbewahrte.
Er merkte sich die Nummer und begann zu wählen. Er kam jedoch nur bis zur sechsten Ziffer, denn dann fiel sein Blick auf die Uhr an der Mikrowelle, die ihm sein Essen zubereitet hatte, das er noch nicht einmal angerührt hatte. Die Uhr zeigte 5:24. Sein Blick wanderte weiter zu dem Teller, auf dem das bereits vollständig erkaltete Hähnchenfleisch lag.
Er legte auf.
Seine Hand zitterte. Er umarmte sich selbst, als es ihn wieder zu frösteln begann. Er blickte an sich hinunter auf seine nackten Beine. Der Magen drehte sich ihm um, und diesmal tat es richtig weh. Er dachte an Andrea. Er ging wieder zum Tisch. Beim Anblick des Zettelchaos wurde ihm schwindlig. Mit den Fingern nahm er sich ein quadratisches Stück Hähnchenbrust vom Teller und biss hinein. Es schmeckte nicht annähernd so wie das Fleisch, das Andrea selbst zubereitete. Lustlos stopfte er sich das ganze Stück in den Mund und nahm sich das nächste.
Er wollte sich lieber nicht fragen, was mit ihm los war.
Nach einigen Minuten, in denen er glaubte, an gar nichts gedacht zu haben, fühlte er sich plötzlich nicht in der Lage, den letzten Bissen hinunterzuschlucken. Die innere Erregung schlug ihm erneut auf den Magen.
»Es ist unmöglich, dass ich nicht schon früher darauf gekommen bin«, flüsterte er.
Er wandte den Kopf und blickte auf die große Überschrift »3. Februar 1971«, die er auf eines der Blätter geschrieben hatte. Dann schlug er sich auf die Stirn.
Sein Lachen klang wie das eines Wahnsinnigen.
14
LEO
Freitag, 20. März 2009
Der erste Tropfen des ersten Frühlingsregens in Arenas traf Pis Schnauze. Leo sah, wie der Kater die Augen zukniff. Dann legte er den Kopf auf den Boden und rieb sich mit der rechten Pfote das Gesicht. Als ihm weitere Tropfen auf den Rücken fielen, die in seinem schwarzen Fell wie kleine Diamanten funkelten, löste er sich von den Beinen seines Herrchens und lief die Treppe zur Veranda hinauf.
»Linda, sieh zu, dass das Abendessen fertig ist, wenn wir zurückkommen«, hörte Leo seine Mutter rufen, bevor die Haustür zuschlug. »Was zum Teufel …? Um Gottes willen! Kusch, weg da, Pi!.« Der Kater ließ sich nicht einschüchtern. »Dein Vater kommt gleich!«, rief sie Leo zu, während sie mit ihren Stöckelschuhen über den knirschenden Kies stakste. »Ab in den Wagen, du wirst ja ganz nass.«
Leo saß auf einem der Steinpfosten, die den Vorgarten der Familie Cruz begrenzten. Als die ersten Regentropfen fielen, hatte er das Gesicht gen Himmel gehoben. Die Tropfen fielen ihm auf die Wimpern und auf die Knie, die zwischen den Strümpfen und der kurzen Schuluniformhose hervorblitzten.
Alle vier Lichter des BMW blinkten gleichzeitig auf, begleitet von einem tiefen Piepen. Leo stand auf und schlurfte durch den Garten in Richtung des Wagens. Seinen Astronautenrucksack schleifte er an einem Träger hinter sich her. Von dem Schriftzug »Space Commander«, der einem am Anfang sofort ins Auge gesprungen war, war jetzt kaum noch etwas zu sehen. »Wie viel, sagst du, hat der gekostet?«, fragte Victoria ihren Mann eines Tages beim Abendessen vor Leo. Er hatte den Rucksack von seinem Vater zum Geburtstag geschenkt bekommen. »Ist er nicht schon
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