9 - Die Wiederkehr: Thriller
Krankenwagen. Aarón stellte seinen Wagen neben einem grauen Renault ab. Dann betrachtete er sich im Rückspiegel. Nervös fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar und über die Ohren wie ein Junge vor dem ersten Date. Mit Zeigefinger und Daumen strich er sich über die trockenen Lippen, um mehr schlecht als recht die Stoppeln seines vernachlässigten Barts zu begradigen. »Na ja, schon gut, los jetzt.«
Er stieg aus dem Wagen. Ganz in Gedanken, was er zu der Frau an der Aufnahme sagen sollte, vergaß er, das Fenster zuzumachen. Durch den Jeansstoff hindurch spürte er die Mitgliedskarte der Apothekerkammer, die er sich noch in die Tasche gesteckt hatte. »Mensch, da muss ich jetzt wohl Sie zu Ihnen sagen, was?«, hatte Andrea an dem Tag gewitzelt, als sie ihm ausgehändigt worden war.
Einer der Krankenwagen ließ den Motor an und fuhr ohne Blaulicht oder Sirene davon. Auf dem Stellplatz daneben kam ein Polizeiwagen zum Vorschein, den er vorher nicht bemerkt hatte. In einem Reflex, über den er selbst staunte, duckte er sich hinter die Motorhaube. Womöglich war das Héctors Wagen. Héctor saß vielleicht gerade an Davids Bett, am Bett des Bruders, den er jetzt jeden Tag besuchte, um ihn atmen zu sehen. In geduckter Haltung strengte Aarón die Augen an. In dem Fahrzeug saß niemand.
Um die Autos herum bahnte er sich einen Weg zum Eingang. Es war eine kleine Privatklinik. Sie bestand aus aneinandergereihten, gerade mal zweistöckigen Bauten, wodurch sie von Weitem beinahe wie eine weitere der vielen Wohnanlagen wirkte. Hinter den Glastüren schlug ihm in dem hohen Eingangsbereich der Geruch nach Arznei- und Desinfektionsmitteln entgegen. Darauf war er nicht gefasst gewesen. Er bäumte sich auf wie unter der Dusche, wenn Andrea ohne Vorwarnung den Warmwasserhahn am Waschbecken aufdrehte – »Tut mir leid«, sagte sie dann kichernd, während die Zahnpasta aus ihren Mundwinkeln schäumte und den Spiegel bespritzte. Der Geruch hatte ihn jäh an den Abend des 12. Mai zurückbefördert, als Andrea und er durch dieselbe Tür getreten und auf den kopfschüttelnden Héctor getroffen waren.
Es ist deine Schuld.
Die Beine drohten ihm wegzusacken. David lag in genau diesem Moment in diesem Krankenhaus. Und er fühlte sich nicht imstande, ihn so zu sehen, bis zum Hals unter der Decke, einem Piepton im Hintergrund, und er konnte auch unmöglich Davids Mutter ins Gesicht sehen oder Héctor oder wem auch immer … Er rieb mit den Fingerknöcheln über seine Jeans. Dabei spürte er die steife Karte der Apothekerkammer, und ihm fiel wieder ein, warum er hier war. Von einem der Besucherstühle im Flur zu seiner Rechten aus beobachtete ihn eine grauhaarige Frau gelangweilt. Aarón lächelte ihr zu und trat an die Aufnahme.
»Weil er dich gar nicht verdient hat«, hörte er eine junge weiß bekittelte Frau hinter dem Tresen sagen, die ihm, mit dem Hintern an den Schreibtisch gelehnt, den Rücken zukehrte.
Der Mann, mit dem sie sich unterhielt, wirkte trotz beginnender Glatze jünger als Aarón. Er hatte ein schmales Gesicht und markante Wangenknochen. Von seinem Bürostuhl aus bemerkte er Aaróns Anwesenheit. Lächelnd sah er hinter seiner Kollegin hervor und machte sie mit den Augen auf ihn aufmerksam. Das Mädchen drehte sich zu ihm um, biss sich auf die Unterlippe und verabschiedete sich von Miguel – den Namen las Aarón auf einem Schildchen auf dessen Brust – mit einem Kniff in die Schulter.
»Guten Tag, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?« Mit ausgestreckten Armen fasste er nach der Schreibtischkante, rollte auf dem Stuhl heran und erhob sich. Dann musterte er Aarón und berichtigte seine Anrede. »Wie kann ich dir weiterhelfen? Vermutlich soll sich jemand dein Auge ansehen, stimmt’s?«
Aarón verstand erst nicht. Dann fiel ihm die Blutung am Auge wieder ein, die er Andrea zu verdanken hatte.
»Nein, das ist nichts«, brachte er heiser hervor. »Ich arbeite in einer Apotheke hier in der Nähe, in Arenas, die letzte, die aufgemacht hat, vor etwa sechs Jahren, kennst du die?«
»Ja, ich glaube schon«, sagte Miguel und legte das Gesicht in Falten.
»Heute Morgen wurden bei uns Medikamente für ein vier Wochen altes Kind bestellt«, log er. »Die Mutter war ein wenig aufgebracht.«
Miguel nickte.
»Der Arzt war schon bei ihr. Es ist nur leichtes Fieber, ein bisschen Husten und Schnupfen«, fuhr Aarón fort. »Du weißt ja, wie diese jungen Mütter sind. Sie ist allein zu Hause und kann niemandem das Baby
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