9 - Die Wiederkehr: Thriller
die Schritte des Jungen hinter sich wahrnahm, lächelte sie mit einem Mundwinkel.
Leo stieg in den Wagen, ohne seinem Vater Hallo zu sagen.
»Junge, du musst das verstehen«, sagte Amador.
»Ganz gleich, ob er es versteht oder nicht«, erwiderte Victoria. »Wir tun das jetzt.«
Amador hielt mit dem weißen BMW vor dem Laden des Amerikaners, eine Bezeichnung, die der Tankstellenshop nicht mehr loswurde, da konnte Señor Palmer noch so fern sein.
Bilder jagten Leo mit fast physischer Wucht durch den Kopf. Es begann hinter den Augen und breitete sich von dort im übrigen Kopf aus. Wie elektrische Strömung, die nicht wehtat, aber ermüdend war. Mit weit geöffneten Augen starrte er auf seine nackten Knie. Der Gedankenstrom versiegte. All die elektrische Spannung gipfelte in einem Gedanken, der so hell in seinem Gehirn aufleuchtete wie das gelbe und violette Neonlicht des Open, das sich jetzt in der Motorhaube spiegelte.
»Es ist mein Schicksal«, murmelte er.
Dann zog er sich an den Kopfstützen der Vordersitze nach vorn und steckte den Kopf durch den Spalt zwischen den Sitzen.
»Papa, die Botschaften sind echt«, sagte er mit bebender Stimme. »Sie sind wahr.«
Er hielt inne, als wollte er noch etwas Wichtiges sagen, befeuchtete die Lippen und erklärte:
»Wer sollte denn wissen, dass ich heute Abend hierherkommen würde? Sie haben die gegenteilige Wirkung, Papa, jetzt komme ich nur wegen diesen Botschaften genau dorthin, wo ich nicht hindarf.«
Er konnte kaum zu Ende sprechen vor Aufregung.
»Sag nicht …«, fuhr Victoria dazwischen.
Leo schluckte und versuchte seine Mutter zu übertönen.
»Papa.« Die Tränen liefen ihm über die Wangen. »Papa, ich habe Angst.«
Er versuchte sich noch zusammenzureißen. Dann gab er auf. Mit dem Gesicht in den Händen verborgen weinte er lauthals, wie nur ein Kind weint. Er trat um sich. Schlug mit den Fäusten gegen den Vordersitz. Amador wollte seinen Sicherheitsgurt lösen, doch Victoria hielt seine Hand fest.
»Lass ihn, er fühlt sich schuldig«, sagte sie tonlos.
Und brachte Amador wie beabsichtigt dazu, sich an die Worte des Therapeuten zu erinnern.
Sie ließen ihren Sohn sich auf dem Rücksitz ausweinen. Amador hätte sich am liebsten die Ohren ausgerissen.
Als Leo nicht mehr schniefen musste und zum letzten Mal tief durchatmete, kauerte er in einer unmöglichen Position auf dem Rücksitz. Er wischte sich die Augen. Dann presste er die Handflächen auf die Augen, bis er nur noch zwei große weiße Punkte sah.
»Warum zwingt ihr mich dazu?«
Amador biss sich in die Faust der linken Hand und wandte das Gesicht zum Fenster.
»Liebling«, sagte Victoria. »Damit du einsiehst, dass du dir diese ganze Sache mit dem vierzehnten August selbst zusammenfantasiert hast. Dr. Huertas hat uns dazu geraten. Fast hätte er auf seinen Urlaub verzichtet, um heute für dich da zu sein. Wir haben ihm gesagt, es sei nicht nötig. Schau doch, was du für einen Wirbel um die Sache machst!«
»Aber er hat mir versprochen, nicht mit euch zu sprechen, wenn ich nicht dabei bin.«
»Tja.« Seine Mutter drehte sich zu ihm um. »Sieht so aus, als würdest du heute eine Menge Dinge lernen. Du wolltest doch immer erwachsen werden.«
»Ich wollte nie …« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
Schweigen trat ein. Leo lockerte den Druck auf seine Lider. Er setzte sich gerade hin, während sich die Gegenwart in farbige, um ihn kreisende Punkte auflöste. Seine Eltern tauschten Blicke, die er nicht mehr wahrnahm.
»Wir warten hier auf dich. Wir bleiben die ganze Zeit hier. Aber du musst allein gehen, Commander. Das ist dein Raumschiff. Rein und wieder raus, das war’s.«
Amador wollte seinen Sohn nicht ansehen. Er wusste, wenn er es tat, konnte es passieren, dass er aufs Gas trat und ihn von hier wegbrachte, weit weg von dieser idioti schen Situation. Vielleicht ans Meer. Pi würde sicher gerne mal seinen Geburtsort kennenlernen.
»Und wenn er die Wahrheit sagt?«, hatte Amador an einem Nachmittag in Victorias Beisein den Therapeuten zu fragen gewagt, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, direkt neben der roten Mappe mit Leos Namen darauf. Victoria hatte jäh die übereinandergeschlagenen Beine gelöst und auf dem Ledersessel in dem Büro ihre Strumpfhose zum Knistern gebracht, was Amador an vergangene Zeiten erinnerte. Dann hatte sie ihr übertriebenes Lachen hören lassen, dieses künstliche Lachen, dank dessen sie auf beruflicher Ebene Erfolge einfuhr und ihr in der Ehe gewisse
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