911
Architekten für den Elfer kennt prosaischere Gründe als die partielle Menschenebenbildlichkeit. Für den Münchner Designer Thomas Elsner, der selbst seit Jahrzehnten Elfer fährt, ist dieser Sportwagen eine Entlastung. »Da ich in meinem Job tagtäglich sehr viel über Gestaltung nachdenken muss, umgebe ich mich gerne mit Dingen, die optisch zu Ende gedacht sind«, sagt Elsner, »so muss ich nicht ständig überlegen, wie ich ihre Form verbessern könnte.« Die Synthese von biomorpher Hülle und einer Ästhetik der Reduktion findet im Funktionalismus und Essentialismus dieses Sportwagens seinen gemeinsamen Nenner. Wie in der Evolution der Schöpfung ist gelungen, was funktioniert und deswegen überlebt.
Und die Herstellungsgeschichte des Produktes entspricht zeitgenössischen Minimalismusvorstellungen. Die Tatsache, dass der Ur-Porsche eigentlich der Remix von VW-Teilen war, bedeutet maximalen Sachzwang oder in den Worten des amerikanischen Künstlers Matthew Barney die maximalen »drawing restraints«. Dass eine derart elegante und souveräne Form aus einem engen Korridor von Möglichkeiten, was Herstellungskosten, Funktionalität und Serienfertigungszwangbetraf, entstehen konnte, beschreibt Elsner als klassische Herausforderung von Gestaltern. Auch deshalb vermutet er eine große Identifikation dieses Milieus mit dem Elfer. Designer und Architekten mögen Dinge, die ihrem Ethos entsprechen, bei denen Form und Funktion zusammenkommen. Sie kuratieren die Dinge ihres Lebens danach.
Der Ur-Elfer
Die
Referenz
Die Damen tragen dunkle Kostüme und schwarze Pelzkappen, die Perlenketten strahlen im Scheinwerferlicht ebenso wie die lackierten, eckigen Taschen. Die Herren tragen allesamt dunkle Anzüge, weiße Hemden und strenge Krawatten am Porsche-Stand auf der IAA 1963 in Frankfurt. »Typ 901« steht auf dem Nummernschild des hellgelben Coupés, das wie ein Vorbote des Frühlings mitten im September erscheint, ein Signal des Aufbruchs, der Heiterkeit und Klarheit, inmitten einer adretten Arriviertheit, die den neuen Sportwagen noch eigensinniger erscheinen lässt. Mit schmalen 165er-Reifen, dem kurzen Radstand und den weiterhin engen Abmessungen war der 901er – von den schlanken Stoßstangen über den lieblichen Außenspiegel bis zum bescheiden dimensionierten Auspuffrohr – eine grazile Erscheinung, während an vielen anderen Ständen noch neobarocke Blechburgen mit Heckflossen als Autos der Zukunft verkauft wurden. Mercedes präsentierte den 600er, der als Pullmann über sechs Meter lang war und einen 6,3-Liter-Motor mit 250 PS hatte. Nicht nur dagegen wirkte der 901er geradezu winzig: 1,60 Meter breit, gut vier Meter lang und 1,32 Meter hoch. Selbst im Inneren wirkte das Antifeudale programmatisch. Im Prospekt für den 901er scheint hinter dem filigranen Lenkrad ein für Elfer-Freunde vollkommen ungewohntes Sparprogramm am Armaturenbrett. Nur zwei Rundinstrumente, die Tacho und Drehzahl anzeigen, sind dort plaziert.
Als der Porsche 911 als 901er vorgestellt wurde, war er keineswegs der unumstrittene Star der IAA. Mercedes stellte die Pagode als Nachfolger sowohl des 300 SL als auch des 190 SL vor und Aston Martin präsentierte mit dem DB 5 einen der elegantesten britischen Sportwagen aller Zeiten. Der Designer der Pagode, Paul Bracq, war übrigens begeisterter Fahrer eines weinroten 356ers. Die Pagode hatte ihre Form also von einem Porsche-Fan erhalten. Das Jahr 1963 markierte eine Art zivilisatorischen Ausreißer nach oben im Automobilbau. Der Bau und der Entwurf von Sportwagen erlebten eine Phase purer Schönheit, hinreißender Formensprache und wegweisender Fahrkonzepte. Was die Zeitgenossen damals nicht ahnen konnten: Der Automobilbau hatte seine Hochrenaissance. Der 1.080 Kilogramm schwereElfer war im Vergleich zur Pagode wie zum DB 5 ein leichtes Auto. Der britische Gran Turismo brachte 1.465 Kilo auf die Waage, der Mercedes-Benz 230 SL nur gut 60 Kilo weniger. Zudem war die Fahrt in einem Porsche spürbar lauter, authentischer und rauher. Präsentiert wurde auf der IAA 1963 ein Prototyp, der noch weit von der Serienreife entfernt war. Porsche wollte mit diesem Präventivschlag verhindern, dass die Konkurrenz in ihren Markt eindringen konnte.
Der zierliche Elfer war dank des 130-PS-Motors 210 Kilometer pro Stunde schnell. Der Pressetext nannte die Beschleunigung »blitzartig«. Den Namen 901 musste man wieder aufgeben, weil sich Peugeot (schon wieder Peugeot) in Frankreich die Rechte für
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