999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
getreten, der den Hals austrocknete. Jedes Mal, wenn die Reiterhorden durch die Straßen Roms stürmten, hielten sich die Adligen und feinen Damen duftende Tüchlein vor die Gesichter. Das geschah in der letzten Zeit immer öfter.
»Noch eine Hexe, verflucht sei sie«, war der Kommentar, der am häufigsten zu hören war.
Auf den Märkten und in den Gasthäusern erzählten Kaufleute und Reisende, dass in ganz Italien, Spanien und ganz besonders in Deutschland eine unerbittliche Jagd auf die Töchter des Dämons stattfinden würde. Jeder konnte eine Geschichte darüber zum Besten geben. Je mehr die Geständnisse der Angeklagten beschrieben und weitergegeben wurden, umso schrecklicher und unglaublicher erschienen die Details ihrer gotteslästerlichen Hexereien und die furchtbaren Bestrafungen, die sie erwarteten. Es wurde immer offensichtlicher, dass diese Frauenzimmer seit Jahrhunderten einen teuflischen Plan verfolgten. Aufgrund ihrer angeborenen Wollust gaben sie sich ohne zu zögern dem Teufel hin, was sie immer zahlreicher und mächtiger machte.
Zum Glück hatte die Kirche rechtzeitig erkannt, dass die Zeit des Antichristen gekommen war. War die Pest im letzten Jahrhundert nicht ein untrügliches Zeichen hierfür gewesen? Jede Familie hatte mindestens einen Toten zu beklagen. Und war der schwarze Tod nicht schon wieder in Polen ausgebrochen?
Einige wenige Unwissende vertraten zwar die Ansicht, dass die Angeklagten oft nur aus Eifersucht oder wegen Familienfehden beschuldigt wurden und dass diese Geschäfte nichts mit dem Satan zu tun hatten. Tatsächlich reichte mittlerweile eine anonyme Anzeige aus, damit der unerbittliche Hexenhammer, der Malleus Maleficarum , die Nichtsahnende in Ketten legen konnte. Die Kästen mit den anonymen Bezichtigungen in den Kirchen waren voller als der Opferstock für die Spenden. Die Frauen, die vor das Gericht gebracht wurden, hatten keine Wahl mehr: Entweder konnten sie sich sofort schuldig bekennen und schmerzlos sterben. Wenn sie sich jedoch verteidigten, mussten sie die schrecklichsten Torturen erdulden. Schmiede und Handwerker hatten sich in großer Zahl in die Dienste der Inquisitoren begeben, um ihnen neue und effiziente Folterinstrumente anzufertigen, die besonders gut geeignet waren, um auch den Widerspenstigsten ihre Geständnisse abzuringen. Um noch größere Schmerzen zu vermeiden, baten die Angeklagten oft um das Wasserordal. Mit Wackersteinen beschwert, wurden sie an Händen und Füßen gefesselt und in einen kalten See geworfen. Wenn sie auf den Grund sanken, bedeutete dies, dass sie unschuldig waren. Wenn sie allerdings an die Wasseroberfläche kamen, waren sie schuldig, denn der Teufel hatte ihnen in diesem Fall alle Öffnungen verstopft.
Diese Nachrichten waren dem Grafen Mirandola auch durch Ritter de Mola zu Ohren gekommen. Seit dem tragischen Tod Margheritas hatte Giovanni das Haus nicht mehr verlassen, aber seit Wochen sprach man in Rom über nichts anderes mehr. Leonora ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen und kümmerte sich darum, dass er sich nicht zu viele Stunden alleine grämte und nicht vergaß zu essen. Mit Ferruccio hielt sie oft einen vertraulichen Blickkontakt, und die gemeinsame Sorge um den Grafen brachte sie einander Tag für Tag näher. Wenn sie aneinander vorbeigingen und sich aus Versehen streiften oder berührten, zuckten sie nicht zurück, sondern lächelten sich zu. In ihnen reifte etwas heran, das nicht nur Freundschaft war. Aber es war das Gefühl, das ihrem Freund verwehrt worden war, und daher versuchten sie, es schamhaft zu verbergen – auch vor sich selbst.
Giovanni hingegen, der so tat, als würde er nichts von alldem sehen, hatte sehr wohl bemerkt, was die beiden miteinander verband. Seltsamerweise fühlte er sich von dieser aufkeimenden Liebe jedoch getröstet, denn in den letzten Wochen lastete die Erinnerung an Margherita wie ein schwarzer Stein auf seinem Herzen und in seinen Eingeweiden.
Girolamo Benivieni war aufgrund seiner eingebildeten Krankheiten, über die er nicht müde wurde zu klagen, in einem abseits gelegenen Zimmer untergebracht worden. Giovanni ertrug ihn kaum noch, zumal der Poet der irrigen Meinung war, Giovannis Schmerz mit langweiligen und sich wiederholenden Oden und Gedichten lindern und die Erinnerung an Margherita durch seine Freundschaft ersetzen zu können. Benivieni war beleidigt, wenn seinen Bemühungen kaum Interesse entgegengebracht wurde, doch nur für einen Abend – am nächsten Tag war
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