999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
selbstständiger, und das war sehr gut, weil er in den nächsten Jahren noch eine weit größere Verantwortung würde übernehmen müssen – die um einiges schwerer wog als das Verwalten eines Antiquariates.
* * *
Der weitläufige Park um die Villa Wolkonsky, der Deutschen Botschaft in Rom, wimmelte vor grauen Wehrmachts- und schwarzen SS-Uniformen – und die zivil Gekleideten, wusste Giovanni Volpe, gehörten alle zur Gestapo. Die Villa war so großzügig mit den auffälligen roten Hakenkreuzfahnen geschmückt, dass sie bereits von weitem zu erkennen war.
Als er am Tor ankam, zeigte Giovanni seinen Ausweis: Der schwarz uniformierte Wachtposten mit der roten Armbinde schaute hochmütig auf ihn herab, was Giovanni als beleidigend empfand. Er erwiderte den Blick des Mannes und starrte ihn durchdringend an – so lange, bis er eingelassen wurde. Mit seinem gut sichtbar angebrachten Besucherausweis schritt er die Allee entlang bis zum Eingangsportal hinauf, dessen Vorbau von vier weißen monumentalen Marmorsäulen getragen wurde. Vor der mächtigen Fassade der pompösen Villa fühlte sich Giovanni wie ein Barbar vor dem römischen Imperator im Colosseum. Als er durch den Eingang trat, kam ihm sogleich ein Botschaftsangestellter entgegen, der offensichtlich bereits über sein Erscheinen informiert worden war. Er geleitete Giovanni in den ersten Stock hinauf, wo er ihn in einem großen Salon zu warten bat. Giovanni setzte sich wie geheißen und sah sich um: Der Raum war komplett mit italienischen Barockmöbeln eingerichtet. Gerade als er eine Kommode bewunderte, spürte er den Blick einer anderen Person im Rücken. Rasch drehte Giovanni sich um und sah die mächtige Gestalt des Botschafters von Mackensen, der ihm lächelnd und mit ausgestreckter Hand entgegenkam.
»Herr Volpe, ich freue mich, Sie zu sehen. Hatten Sie eine angenehme Reise?«
»Es war alles perfekt, Herr Botschafter, danke der Nachfrage.«
»Sehr gut. Wie ich sehe, bewundern Sie gerade meine jüngste Anschaffung.«
»Ja, wirklich sehr schön.«
»Sie verstehen etwas davon, Herr Volpe. Die Kommode entstammt der Werkstatt Giuseppe Maggiolinis, des großen Intarsienmeisters. Es handelt sich um eine wirklich einzigartige Arbeit, wie es sie kein zweites Mal gibt. Vom Meister selbst signiert.«
»Ich gratuliere Ihnen zu dieser Anschaffung, Herr Botschafter«, sagte Volpe unterwürfig.
»Ja, ja, aber jetzt tun Sie mir den Gefallen und kommen Sie erst einmal in mein Büro.«
Als Giovanni das Büro betrat, versteifte sich seine Miene augenblicklich, denn vor dem großen Fenster stand ein arrogant wirkender, zivil gekleideter Mann mit Zigarette. Als er den Botschafter erblickte, schlug er sofort die Hacken zusammen – ein Zeichen dafür, dass er Soldat war.
»Herr Volpe, darf ich Ihnen Herrn Zugel vorstellen. Er wird ab jetzt Ihr Kontaktmann sein. Lassen Sie sich nicht von seinem Alter irreleiten. In Berlin findet dieser junge Mann bereits viel Beachtung, und man kann sich bedingungslos auf ihn verlassen. Wie auf mich übrigens auch«, ergänzte der Botschafter mit einem hinterlistigen Lächeln.
Zugel drückte die Zigarette aus und reichte Giovanni die rechte Hand, während er die linke hinter dem Rücken hielt. Volpe wusste, was diese Geste seit den Zeiten des Meuchelmordes an Cäsar bedeutete: Mit der rechten Hand bot man Loyalität an und verbarg den Dolch gleichzeitig in der Linken. Zugel war Giovanni sofort unsympathisch. Außerdem hatte er sein schwarzes Haar mit zu viel Pomade nach hinten gekämmt; Giovanni fand diese Haarmode schrecklich, nicht zuletzt weil sie gerade jeder zu tragen schien.
»Darf ich ganz offen sprechen, Herr Botschafter?«, fragte Giovanni und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an.
»Natürlich, mein teurer Freund«, antwortete der Botschafter, während er sich in einem vergoldeten Sessel zurücklehnte und dabei seine Arme über dem dicken Bauch verschränkte.
»Ich komme sofort auf den Punkt. Leider hat mein Lehrer noch nicht das volle Vertrauen in mich, so dass mir der Zugang noch nicht in vollem Umfang gewährt ist. Ich weiß aber, wo sich das Buch befindet – oder besser gesagt: Ich habe genaue Anweisungen erhalten, was im Falle seines Todes zu tun ist, weshalb ich auch weiß, wie ich an das Buch herankomme.«
Von Mackensen und Zugel warfen sich einen Blick zu.
»Ich glaube allerdings«, fuhr Volpe fort, »dass es sich nur noch um ein paar Monate handelt. De Mola macht sich über die politische Situation in
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