999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
dem Grafen zur Flucht verhalf und drei meiner Männer ermordete. Vielleicht sogar vier.«
»Und du hast mich gestört, nur um mir deine Misserfolge zu erzählen?« Innozenz war in Rage.
»Nein, Vater«, antwortete Fränzchen beleidigt und zufrieden gleichermaßen. »Aber während wir ihn jagten, haben wir seinen Freund, den Poeten Benivieni, erwischt, der sich gerade mit einem Jüngling verlustierte …«
»Nein! Wirklich? Ich hörte bereits, dass selbst unsere ehrwürdigsten Patres diesem weit verbreiteten Brauch frönen«, grinste der Pontifex. »Ich habe nie verstanden, was sie daran finden. Wie kann man einen Jüngling einer Frau mit ihrer geheimnisvollen Süße und dem lusterfüllten Schoß vorziehen?«
»Das weiß ich auch nicht, Vater«, sagte Fränzchen und lächelte mit leicht geöffneten Lippen. »Das gleiche Blut fließt durch unsere Adern. Aber dass der Poet es mit Knaben treibt, hat besondere Aufmerksamkeit verdient …«
»Also los, sag schon. Worauf wartest du noch?«
»Ich weiß, Ihr seid an den Schriften und den Thesen des Grafen interessiert …«
»Ja«, brummte Innozenz. »Den Papst will er durch sie ersetzen … Es ist also ein ganz privater Angriff!«
»Nun gut, ich habe nicht nur mehrere Exemplare seiner Neunhundert Thesen gefunden, also die, die der Buchdrucker anfertigte, sondern auch …«
»Hör auf zu grinsen und sag mir, was du gefunden hast, du Sohn einer Hure, mit Respekt für deine Mutter, hab sie selig!«
Fränzchen zog es vor, nicht auf die Beleidigung seines Vaters einzugehen, und kam gleich zur Sache. »Zwei Handschriften, Vater, die ich Euch gebracht habe. Ich glaube, sie sind viel mehr wert als der Graf selbst. Hier, sie sind Euer.«
Innozenz nahm den aus einigen Seiten bestehenden Folianten von seinem Sohn entgegen. Dann las er auf der Vorderseite den Titel, der in kunstvollen Goldlettern geschrieben war:
Ultimae Conclusiones
Sive Theses Arcanae IC
»Was ist das?«
»Wenn meine Erzieher, die von Euch höchstpersönlich ausgesucht wurden, keine Esel waren, heißt es ›Die letzten geheimen neunundneunzig Conclusiones‹.«
»Ich kann immer noch Latein lesen, du Tölpel. Ich will wissen, was es mit diesen geheimen Thesen auf sich hat!«, polterte der Papst und schlug dabei mit der Faust auf die vergoldete Armlehne seines Sessels.
Fränzchen wusste, wann er sich vor den Wutausbrüchen seines Vaters in Acht nehmen musste – und das war einer dieser Momente. Er gab sich zerknirscht, wie er es schon als Kind getan hatte: Die Fäuste vor die zusammengepressten Lippen gepresst und mit auf die Brust gesenktem Kopf stand er vor Innozenz. »Ehrlich gesagt, Vater, dachte ich, dass Ihr das wissen müsstet«, sagte er nach einer Weile trotzig. »Die Papiere waren in dem Geheimfach eines Möbels versteckt. Nun, ich dachte, dass Ihr die geheimen Thesen vielleicht suchen würdet … und dass sie großen Wert für Euch hätten.«
»Ich wusste nicht einmal etwas über ihre Existenz. Wahrscheinlich habt Ihr sogar schon in ihnen gelesen, was?«
»Nein, Vater«, antwortete Fränzchen offen und ehrlich. »Ich habe den Titel gelesen, und nachdem sie mir übergeben wurden, habe ich sie Euch sogleich gebracht.«
»Zeig schon her …« Innozenz griff nach dem Buch und polterte sogleich weiter. »Soll das ein Scherz sein? Die Seiten sind zusammengeklebt. Was hast du jetzt schon wieder gemacht?«, fuhr er Fränzchen an.
»Nichts, Vater … ich schwöre bei der heiligen Madonna, dass ich sie so gefunden habe.«
Innozenz versuchte, die Seiten auseinanderzuziehen, aber es schien, als ob das ganze Buchgefüge ein einziger Block wäre. Er versuchte zuerst, mit der Spitze seines Stiletts und dann mit dem Fingernagel die Seiten zu trennen, aber es war nichts zu machen.
»Wie viele Exemplare waren es?«, herrschte Innozenz seinen Sohn an.
»Zwei, Vater, das hier und noch ein zweites, aber … auch das ist zusammengeklebt«, sagte Fränzchen und wollte nach dem Buch greifen.
»Lass es sein, fass es mit deinen Dreckspfoten nicht an!«, schrie ihn der Papst ungehalten an. Er blickte auf den Titel und murmelte: »Geheimthesen: Wieder etwas Neues von diesem Wahnsinnigen … der Kerl ist von einem Dämon besessen … soll der Mirandola doch gleich ganz in Besitz nehmen! Und dann sind die Thesen auch noch in dieser Weise verschlüsselt … mit Absicht, auf dass sie niemand öffnen möge!«
»Vater, Ihr könntet den Alchimisten, Bruder Lorenzo, zum Öffnen rufen.«
Innozenz schaute sich zuerst
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