ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
unsicher.
„Ach“, sagte Sudden. „Nur ... das Meer. Diese Kraft. Und wir zwei hier. Und diese Chance, etwas zu bewegen. Zu verändern.“ Sie lachte, gab ihm einen Kuss und wischte eine ihrer Tränen von seiner Backe. Wie leicht und liebevoll sie war. Wie offen sie mit ihren Gefühlen umging. Was wäre, wenn er sein zerstörerisches Verhalten nicht mehr hätte? Wenn er auf die Hoffnung setzte, die auch Sudden und all die anderen hier erfüllte? Simon brauchte einen erneuten Anlauf, um seine Frage zu stellen, die plötzlich keine Frage mehr war.
„Ich wünschte, es gäbe einen Weg, das zu überwinden, was mich so ... was mich Edda lieben lässt“, sagte er.
Sudden starrte ihn an.
„Wieso willst du das überwinden?“
„Weil es ... mich schwach macht.“
Sudden sah Simon an.
„Komm mit“, sagte sie. Dann brachte sie ihn wieder zu ihrem Computer. Sie veränderte etwas mit der Maus und die Kameras der anderen Plattform tauchten auf. Mit einem Klick legte Sudden die Bilder der P1 auf einen Beamer im Raum: Edda stand in der Küche, ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie trug einen Jogginganzug, der ihr viel zu weit war. Mit Gopal und einem anderen Jungen bereitete sie Essen zu. Simon sah, wie Edda lachte und wie vertraulich sie ihre Hand auf Gopals Schulter legte, als sie sich nach einer Schüssel beugte.
Simon nahm den Blick vom Bildschirm.
„Was ist es, das du nicht ertragen kannst?“, fragte Sudden leise.
„Sie gehört zu mir“, sagte Simon. „Dachte ich immer.“
Sudden nickte.
„Und wenn sie das anders sieht?“
Simon schluckte.
„Ihr ging es nicht besser als dir, als ihr hier angekommen seid. Sie hatte Angst um Marie, sie machte sich Sorgen um Linus. Vielleicht belastet deine Liebe – oder was du dafür hältst – sie nur.“
Simon schwieg betroffen. Auf den Gedanken war er noch gar nicht gekommen. Es war möglich. Aber es erklärte nicht, wieso Edda sich einfach mit Gopal einließ und wieso sie ihn aus ihrem Leben ausgeschlossen hatten. Aber immerhin war es ein Anfang, von Edda loszukommen. Simon seufzte. Er ahnte, dass der Weg lang und steinig werden könnte.
[3205]
Der Himmel hatte sich wieder zugezogen. Noch immer arbeiteten die Männer in der Lagerhalle. Nicht weit entfernt in seinem Wagen wartete Olsen auf die Dunkelheit.
Als er sicher war, dass er in seinen schwarzen Klamotten bestens getarnt sein würde, schlich er aus seinem Versteck erneut zu der Halle. Er schlug einen Bogen zu der Nordseite. Sie lag im Schatten der Laternen, die inzwischen zur Straße hin auf der Südseite angesprungen waren.
Ein ICE rauschte nur wenige Meter von Olsen entfernt über den Bahndamm. In den erleuchteten Fenstern konnte er die Reisenden und einen wuchtigen Schaffner erkennen, der wie ein Teletubby wirkte. Olsen wandte sich wieder der Halle zu. Er hatte die Zeit bis zur Dunkelheit genutzt und sich mit Bergsteigerutensilien ausgestattet. Haken, Seil. Den Klettergurt legte er sich um. Die Außenhaut der Halle bestand aus Metall. Dort, wo zwei Wandelemente aufeinandertrafen, waren sie mit dicken Schrauben verbunden worden. Diese Schrauben ragten ein gutes Stück hervor und boten zusammen mit den Überlappungen genügend Halt für einen guten Kletterer. Zu Olsens Überraschung zweifelte er keine Sekunde, dass das ein praktikabler Weg wäre, auf das Dach der Halle zu gelangen.
Mit sicheren Handgriffen klickte Olsen die Karabiner an seinen Klettergurt, legte das Seil mit einem professionellen Knoten in einen der Haken und stieg hinauf. In kurzer Zeit hatte Olsen schon die Hälfte des Weges hinter sich, als er Schritte hörte. Er verharrte, schaute nach unten und erkannte einen Wachmann, der mit seinem Hund über das Gelände patrouillierte. Zielstrebig steuerte er einen kleinen Kasten an, an dem er sich zur rechten Uhrzeit registrieren musste. Der Hund wurde unruhig, schnüffelte. Blieb stehen. Der Wachmann schaute kurz und zog den widerwilligen Dobermann weiter. Hin zu dem Kasten. Olsen verhielt sich ruhig. Doch er merkte, wie seine Finger und seine Arme zu schmerzen begannen. Mit der rechten Hand hielt er sich an einer der Schrauben fest, die andere hatte sich an der Stelle festgekrallt, wo die Wandelemente überlappten. Olsen blieb nichts, als zu beobachten, was da unten vor sich ging. Der Wachmann schien keine Lust zu haben, sich zu beeilen. In aller Seelenruhe schloss er den Kasten auf und holte eine Flasche Schnaps hervor. Er schaute sie in Vorfreude an, schraubte sie
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