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Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Bach
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entledigt hatte, was bezweckte er damit? Konnte er hoffen, damit ihren Verrat ungeschehen zu machen? Was blieben ihm denn für Möglichkeiten? Zu warten, bis einer wie Zek kam. Zu flüchten, mit möglichst viel Kohle, und zu warten, bis einer wie Zek kam. Oder sich selbst wegzuräumen, bevor einer wie Zek kam.
    Er merkte, dass der Wagen des Zielpunkts unversperrt war, und dass der Schlüssel im Zündschloss steckte. Er zog ihn ab, verschloss den Wagen und sah sich um. Variante zwei konnte man ausschließen. Und Variante eins und drei ähnelten einander. Es war denkbar, dass sein Ziel ausgetreten war, um Pinkeln zu gehen oder einmal tief durchzuatmen. Aber in einer fremden Gegend einen Wagen nicht abzuschließen war ein Symptom für eine Krankheit, die man die große Gleichgültigkeit heißt. Oder waren das nur Zeks Gedanken? Es konnte auch sein, dass das Zielobjekt keine Überlegungen anstellte, gefühllos war und keine bestimmte Zukunftsvisionen verfolgte. Vielleicht pinkelte er, und wenn er dann zum Wagen zurückging und einen wie Zek bemerkte, konnte das zu unerwünschten Reflexhandlungen führen. Also zog Zek sich vorsichtig vom Wagen zurück, schlug einen Haken und gelangte auf eine Bodenerhebung, von der aus das Meer sichtbar war. Dort zeichnete sich ein heller, sich bewegender Lichtfleck im Dunkel ab, von dem Zek augenblicklich begriff, dass es sich dabei um sein Ziel handelte, das nackt in die Wellen des Meeres watete. Das Bild dieses Körpers verursachte einen abgerissenen Gedanken. Die Entfernung betrug hundert Meter, die Sicht war schlecht und der Sand würde jenen Sprint der Verfolgung verlangsamen. Da Zek das Ziel also derzeit nicht mehr erreichen konnte, bevor es wie ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Fisch im Meer verschwunden war, atmete er durch, erhob sich aus der geduckten Lauerhaltung und spazierte gemächlich hinunter auf die harte Schwemmplatte, wo die Kleider des Zieles lagen. Eine Brieftasche war da mit Geldscheinen, die Zek an sich nahm. Ausweise, Kreditkarten, ein Mobiltelefon. Draußen auf dem Meer glaubte man den Kopf des Zieles im Glitzern der Mondreflexionen zu sehen als winzige schwarze Scheibe. Hier hatten sich die Lichtverhältnisse umgedreht. Das Meer lag silbern unter dem Sternenhimmel. Zek hockte sich hin und zog sich die Schuhe aus, die bereits voller Sand waren. Er streifte die Socken ab und fühlte mit den ertaubten, schweißigen Fußsohlen im Sand, was ein angenehmes Gefühl war.
     
    Der Wind war stark, aber die Luft war lau. So schien es zumindest, wenn man anfangs da saß. Zek aber hatte eine Weile gewartet und war nun durch die Kälte des Windes völlig durchfroren, als er beschloss, zum Zeitvertreib eine Viertelstunde auf der Schwemmplatte der Wellen in diese Richtung zu gehen und dann wieder umzukehren und über den Nullpunkt seines Ausgangsortes hinaus zu wandern eine weitere Viertelstunde. Barfuß, was ein großer Genuss war, aber kalte Füße machte. Die Waffe wurde schwer und dann legte er sie auf das Kleiderbündel des Zielobjektes, fast so, als würde er ihm damit eine Chance geben. Konnte man machen, war aber Betrug. Er würde dem anderen nie eine Chance lassen, nicht die Kleinste. Einmal beinhaltete die Strecke eine Überprüfung des Bündels Kleider und der Waffe, dann wieder die des Wagens. Es war spät geworden, zwei, drei Uhr vielleicht. Eine Uhrzeit, zu der man etwas Handfestes braucht. An das man sich anhalten kann, ein Orientierungspunkt oder zwei. Ob beides noch da war. Man sich nicht einbildete, da draußen niemanden zu sehen. Die unangenehme Vorstellung, dass sein Gehirn fehlerhaft funktionieren könnte und sowohl den Auftrag vergessen als auch das Hervortreten des Zielpunktes aus dem Meer übersehen, das quälte ihn. Und trotzdem war er aufgekratzt, denn zuhause wäre jetzt längst Tag. Mit dem Jetlag kämpfen, das war noch neu für Zek. Das kannte er noch gar nicht. Er war noch nie in Amerika gewesen. Schönes Land. Aber diese rasante Müdigkeit, als hätte man eine Flasche Wodka auf ex getrunken. Vielleicht entkommt er mir doch, dachte er. So wie eine Nixe an Land schwimmt als Flossentier, und kaum hatte sie die Erde berührt, verwandeln sich die Flossen in Beine. Ähnlich wie gerade eben, als er barfüßig die Erde fühlte und nun, wenn er ging, zwar kühle Füße hatte, aber trockene und befreite und am Liebsten noch einige Tage mit diesen neuen kalifornischen Füßen gegangen wäre, bevor er sie wieder in zu enge Anzugsschuhe quälen müsste.

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