Abdruecker (Splattergeschichten)
fahruntüchtig gemacht und das Weite gesucht haben. Er konnte längst grinsend in einer dieser 24-Stunden-Restaurants beim Kaffee sitzen und sich Pancakes servieren lassen.
Was ist eigentlich los mit dieser Stunde von halb vier Uhr morgens? Es ist die Zeit der Verhaftungen, da die Staatsmacht damit rechnet, einen dann zuhause anzutreffen, schlafend, wehrlos. Es ist die Zeit, in der auch die Mörder schlafen, dachte Zek, während er den Strand mit den Augen absuchte. Es war da nichts. Der Zielpunkt war hinaus auf das offene Meer geschwommen und war dort von der Weite verschluckt worden. Das Maul des großen, endlosen Nichts. Zek konnte sich ruhigen Gewissens tröstliche Gedanken einfallen lassen. Es war alles in Ordnung. Blaue Stunde, fiel Zek ein. Es ist das schon von Natur aus die häufigste Todesstunde, vielleicht war es auch von der Natur gewollt, dass der Zielpunkt, der sich schon mehrere Stunden in den Fluten aufhielt, nun aus den Wellen kam und durch Zek sein Ende fand. Wenn er so lange draußen war, musste er aber bereits ertrunken sein. Es ging nicht anders. Dann war auch sein Auftrag erfüllt, vom Zielpunkt selbst ausgeführt worden. Selbstrichtung, himmlische Gerechtigkeit. Er war ins Wasser gegangen. Aus Verzweiflung, vielleicht. Etwas von der Wolke über seinem Leben, die Zek auf seine Spuren schickte, musste er gespürt haben. Und diese Stunde nun, diese blaue Stunde, würde es ans Tageslicht bringen, ebenso wie jederzeit der Tag zurückkehren würde. Diese Stunde war sein Freund. Augenblicke, in denen man tief schläft wie sonst nie in den Nächten, bis man eines Tages dabei so tief ins Schattenreich hinabsteigt, um nie wieder zurückzukehren. Es waren sehr alte Menschen, Greise, denen diese Tat gelang. Sie starben nicht wie Fische, die das Meer anschwemmt, sondern sanken aus eigener Kraft bis auf den Meeresboden und bohrten sich dort bis zum Erdkern ein.
Die blaue Stunde, dachte Zek, während er wieder seine Strandwanderung aufnahm und dabei immer klarer im Kopf wurde. Sie ist ein Tor, das den einen zu den Träumen führt, den anderen in den Tod. Das Schrillen des Telefons des Wachzimmers fällt in eine große Tiefe, und wenn es dann bis auf den Grund gesunken ist bis vor dieses Tor, wacht man als Diensthabender auf und hat zuerst einmal keine Orientierung. So war es damals, in den Jahren, die er bei der Armee verbrachte. Man war schon damals, als junger Mann, am Schwersten weckbar zu dieser Stunde gewesen, und als Geweckter glaubte man zu träumen. Man weiß in der blauen Stunde nicht, wer man ist, und wer der andere ist am anderen Ende der Leitung, und warum jemand überhaupt anruft oder was Anrufe sind. Man ist wütend darüber, geweckt worden zu sein, und gekränkt wie ein Kind. Man weiß nur, oder man bildet sich ein, dass man von diesem Tor weggezerrt wurde, durch das man unbedingt gehen wollte und durch das man gehen muss: Das Traumtor, das Todestor. Der Protest des Diensthabenden einer Polizeiwache, einer Feuerwehrstation, eines Rettungsdienstes, wenn er geweckt wird durch einen Klingelton oder ein mechanisches Summen, kommt automatisch. Selbst der motivierte Beamte, somit selbst der denkbar lebendigste Mensch, würde am Liebsten liegenbleiben und sofort wieder kraftlos in diesen übermächtigen Schlaf versinken um halb vier Uhr morgens. Aber er muss seine Pflicht erfüllen, eine Weiche setzen, die einem, mehreren oder hunderten das Leben rettet, und sei es nur, indem er nach einem Unfall auf einer Schnellstraße den Verkehr regelt. Es ist die Stunde, in der der Tod Vorfahrt hat. Das gilt für alle. Der Tod schwebt über den Gebäuden. Die Menschen sterben am Vormorgen wie Maschinen, deren Defekte nicht mehr gefunden werden. Pupillenreaktionen, die ausbleiben, Herzschläge, die verhallt sind in auskühlenden Leibern. Das Tor zwischen Leben und Tod hat sich augenblickslang geöffnet wie bei der Geburt. Es ist ein Tor der Unbedingtheit, das führt in das Vakuum des Todes. Manchmal aber führt es nur in den Traum.
Diese Stunde, die blaue Stunde, ist das Innehalten der Natur, augenblickslang, für einige Minuten, vielleicht manchmal auch für eine ganze Stunde. Auf Parties, Bällen und Festen tanzt da keiner mehr. Manche sind eingenickt, andere horchen stumm in sich hinein. Die Nachtvögel schweigen, die Vögel des Vormorgens schlafen noch. Das Sirren der Zikaden ist verstummt, und das Quarren der Frösche. Auf einer Parkbank ist der Obdachlose für wenige Minuten im Sitzen eingenickt. Es ist
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