Abendruh: Thriller (German Edition)
vielleicht irgendein dummer Streich?«
»Claire, ich bitte dich darum«, sagte Will. »Du weißt, dass du mir vertrauen kannst.«
Sie sah Will an, und diesmal konzentrierte sie sich nicht auf seine Pickel oder sein blasses Mondgesicht, sondern auf seine Augen. Diese sanften braunen Augen mit den langen Wimpern. Sie hatte noch nie erlebt, dass Will irgendetwas Böses gesagt oder getan hätte. Er war unbeholfen, und er nervte manchmal, aber er war nie verletzend. Anders als ich . Wie oft hatte sie ihn schon bewusst ignoriert, über eine Bemerkung von ihm die Augen verdreht oder zusammen mit den anderen gelacht, wenn er beim Sprung in den See eine seiner monströsen Arschbomben produzierte? Irgendwo vermisst ein Bauer sein Schwein , hatten die anderen Mädchen gelästert, und Claire hatte nicht gegen diese Gemeinheit protestiert. Jetzt schämte sie sich dafür, als sie in Wills Augen blickte.
»Wo treffen wir uns?«, fragte sie.
»Bruno bringt uns hin.«
Der Weg, der sie den Hang hinter der Schule hinaufführte, war steil und steinig, und auf ihren nächtlichen Wanderungen hatte Claire ihn noch nie erkundet. Er war so dürftig markiert, dass sie sich sicherlich im Wald verirrt hätte, wenn Bruno Chinn nicht vorangegangen wäre. Bruno war dreizehn, genau wie Claire, auch er ein Außenseiter, aber mit unverwüstlichem Optimismus ausgestattet. Es schien sein Schicksal zu sein, dass er in jeder Gruppe stets der Kleinste war. Behände wie eine Bergziege kletterte er auf einen Felsbrocken und sah sich ungeduldig zu seinen drei Mitschülern um, die Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten.
»Jemand Lust auf ein kleines Wettrennen zum Gipfel?«, schlug er vor.
Will blieb stehen. Er war knallrot im Gesicht, und das durchgeschwitzte T-Shirt klebte ihm an den Speckrollen. »Ich bin echt fix und fertig, Bruno. Können wir nicht eine Pause machen?«
Bruno winkte sie weiter, ein grinsender kleiner Napoleon, der seine Truppen den Hang hinaufführte. »Sei doch nicht so stinkfaul. Du musst dich fit halten, so wie ich!«
»Willst du Bruno erwürgen?«, murmelte Claire. »Oder soll ich das übernehmen?«
Will wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und keuchte. »Gib mir bloß eine Minute. Dann bin ich wieder okay …« So sah es aber ganz und gar nicht aus, als er sich mühsam und schwer atmend weiterschleppte, wobei seine riesigen Schuhe auf dem nassen Moos immer wieder wegrutschten.
»Wohin gehen wir?«, rief Claire.
Bruno blieb stehen und drehte sich zu seinen drei Klassenkameraden um. »Bevor wir weitergehen, müsst ihr alle etwas versprechen.«
»Was denn?«, fragte Teddy.
»Dass ihr nie irgendwem von diesem Ort erzählen werdet. Das ist unser Platz, und wir wollen doch nicht, dass der alte Griesgram Roman uns irgendwann erzählt, wir dürfen da nicht mehr hin.«
Claire schnaubte. »Glaubst du, er wüsste nicht längst davon?«
»Versprecht es einfach. Hebt die Hände.«
Mit einem Seufzer reckte Claire die Hand in die Luft. Will und Teddy taten es ihr gleich. »Wir versprechen es«, sagten sie im Chor.
»Also gut.« Bruno drehte sich um und schob ein paar Zweige zur Seite. »Willkommen in der Höhle der Schakale.«
Claire trat als Erste auf die Lichtung. Als sie die Steinstufen sah, glitschig vom Moos, wurde ihr klar, dass es sich nicht um eine natürliche Lichtung handelte, sondern um eine künstliche Anlage. Eine sehr alte Anlage. Sie stieg die Stufen hinauf zu einer kreisförmigen Terrasse aus verwittertem Granit und trat in einen Ring aus dreizehn großen Felsbrocken, in dessen Mitte ihre Klassenkameraden Lester Grimmett und Arthur Toombs bereits warteten. Nicht weit davon stand im Schatten der Bäume eine steinerne Hütte, mit moosbewachsenem Dach und verschlossenen Fensterläden. Welche Geheimnisse sich wohl dahinter verbergen mochten?
Teddy trat in die Mitte des Rings und ließ den Blick langsam über die dreizehn Findlinge wandern. »Was ist das hier?«, fragte er verwundert.
»Ich habe versucht, in der Schulbibliothek etwas darüber zu finden«, sagte Arthur. »Ich glaube, dass Mr. Magnus es angelegt hat, als er das Schloss baute, aber ich kann nirgends einen Hinweis darauf entdecken.«
»Wie habt ihr das hier gefunden?«
»Gar nicht – das war Jack Jackman, vor vielen Jahren. Er hat den Platz für die Schakale in Besitz genommen, und seitdem gehört er uns. Das Steinhaus da drüben, das war total verfallen, als Jackman es zum ersten Mal gesehen hat. Er hat es zusammen mit den Schakalen
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