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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Tassen zu spülen und abzutrocknen, ehe sie ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte. Vielleicht war es ein letzter Akt der Rücksichtnahme jenen gegenüber, die hinterher alles aufräumen mussten.
    Aber wieso hatte sie dann eine so blutige Todesart gewählt? Einen Abgang, der hässliche Flecken auf dem Gartenweg und unauslöschliche Spuren in der Erinnerung ihrer Schüler und Kollegen hinterlassen würde?
    »Es ergibt einfach keinen Sinn, nicht wahr?«
    Sie drehte sich um und sah Julian in der Tür stehen. Wie üblich war der Hund an seiner Seite, und wie sein Herr wirkte auch Bear niedergedrückt und bekümmert.
    »Ich dachte, du wärst ins Bett gegangen«, sagte sie.
    »Ich kann nicht schlafen. Ich wollte mit dir reden, aber du warst nicht in deinem Zimmer.«
    Sie seufzte. »Ich kann auch nicht schlafen.«
    Der Junge stand zögernd an der Schwelle, als ob der Respekt gegenüber der Toten ihn daran hinderte, Annas Büro zu betreten. »Sie hat nie einen Geburtstag vergessen«, sagte er. »Du bist morgens zum Frühstück runtergekommen, und da lag irgendein originelles kleines Geschenk an deinem Platz. Eine Yankees-Mütze für einen Jungen, der auf Baseball stand. Ein kleiner Kristallschwan für ein Mädchen mit Zahnspange. Mir hat sie auch etwas geschenkt, obwohl ich gar nicht Geburtstag hatte. Einen Kompass, damit ich immer wusste, wohin ich ging, und nie vergaß, wo ich vorher gewesen war.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Das passiert immer mit Menschen, die ich mag.«
    »Was passiert mit ihnen?«
    »Sie verlassen mich.« Sie sterben , wollte er damit sagen, und es stimmte. Die letzten Mitglieder seiner Familie waren vergangenen Winter ums Leben gekommen, und jetzt hatte er niemanden mehr auf der Welt.
    Bis auf mich. Er hat immer noch mich.
    Sie zog ihn an sich und hielt ihn fest in den Armen. Julian war inzwischen fast wie ein Sohn für sie, und doch waren sie einander in so vielem noch fremd. Er ließ ihre Umarmung steif über sich ergehen, wie eine hölzerne Statue in den Armen einer Frau, der es nicht minder schwerfiel, Gefühle zu zeigen. In dieser Hinsicht waren sie sich leider sehr ähnlich: Sie suchten verzweifelt die Nähe anderer Menschen und misstrauten zugleich dieser Nähe. Endlich spürte sie, wie die Anspannung von ihm abfiel; er erwiderte die Umarmung und schmiegte sich an sie.
    »Ich lass dich nicht allein, Rat«, sagte sie. »Du kannst immer auf mich zählen.«
    »Das sagt sich leicht. Aber man weiß nie, was passieren wird.«
    »Mir passiert schon nichts.«
    »Du weißt genau, dass du das nicht versprechen kannst.« Er löste sich aus der Umarmung und drehte sich zu Dr. Wellivers Schreibtisch um. »Sie hat gesagt, wir könnten auf sie zählen. Und was ist passiert?« Er berührte die Rosen in der Vase; ein rosa Blütenblatt fiel ab, flatterte herab wie ein sterbender Schmetterling. »Warum hat sie das getan?«
    »Manchmal gibt es keine Antworten. Ich habe bei meiner Arbeit allzu oft mit dieser Frage zu tun. Mit Familien, die zu verstehen versuchen, warum jemand, den sie geliebt haben, Selbstmord begangen hat.«
    »Und was sagst du denen?«
    »Dass sie sich niemals Vorwürfe machen sollen. Dass sie keine Schuldgefühle haben sollen. Weil wir nur für unser eigenes Handeln die Verantwortung tragen. Und nicht für das von irgendjemandem sonst.«
    Sie verstand nicht, warum er bei dieser Antwort plötzlich den Kopf hängen ließ. Er fuhr sich hastig mit dem Handrücken über die Augen, und sie sah das feuchte Glitzern auf seiner Wange.
    »Rat?«, fragte sie leise.
    »Ich fühle mich aber schuldig.«
    »Kein Mensch weiß, warum sie es getan hat.«
    »Ich meine nicht Dr. Welliver.«
    »Wen denn?«
    »Carrie.« Er sah sie an. »Sie hat nächste Woche Geburtstag.«
    Seine tote Schwester. Im vergangenen Winter war das Mädchen zusammen mit der Mutter der beiden in einem abgelegenen Tal in Wyoming ums Leben gekommen. Er sprach nur selten über seine Familie, und schon gar nicht über die Geschehnisse in jenen dramatischen Wochen, als er und Maura ums Überleben gekämpft hatten. Sie hatte geglaubt, er habe die schlimme Erfahrung hinter sich gelassen, aber das hatte er natürlich nicht. Er ist mir ähnlicher, als mir bewusst war, dachte sie. Wir vergraben beide unseren Kummer so tief, dass niemand ihn sehen kann.
    »Ich hätte sie retten müssen«, sagte er.
    »Wie hättest du das tun sollen? Deine Mutter wollte sie doch nicht gehen lassen.«
    »Ich hätte sie zwingen müssen zu gehen. Ich war der Mann

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