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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sich an ihrer Stelle lieber erspart hätte, und dennoch war sie hier, zog sich Überschuhe an, setzte Schutzbrille und Maske auf.
    »Das bin ich ihr schuldig«, sagte sie.
    »Ich bezweifle, dass wir irgendwelche Überraschungen erleben werden. Wir wissen, wie sie gestorben ist.«
    »Aber nicht, was dazu geführt hat.«
    »Das werden wir hier auch nicht herausbekommen.«
    »Eine Stunde bevor sie sprang, hat sie sich am Telefon merkwürdig verhalten. Sie sagte Detective Rizzoli, das Essen schmecke anders als sonst, und sie sah Vögel – irgendwelche exotischen Vögel, die vor ihrem Fenster herumflogen. Ich frage mich, ob das Halluzinationen waren.«
    »Ist das der Grund, warum Sie ein Drogenscreening vorgeschlagen haben?«
    »Wir haben in ihrem Besitz keine Drogen gefunden, aber es ist möglich, dass wir etwas übersehen haben. Oder dass sie sie versteckt hat.«
    Sie traten durch die Tür in den Sektionssaal, und Dr. Owen sagte: »Randy, wir haben heute einen prominenten Gast. Dr. Isles vom Rechtsmedizinischen Institut in Boston.«
    Der junge Mann nickte unbeeindruckt und fragte: »Wer führt das Messer?«
    »Das hier ist Dr. Owens Fall«, erklärte Maura. »Ich bin nur als Beobachterin hier.«
    Gewohnt, in ihrem eigenen Sektionssaal das Kommando zu führen, musste Maura der Versuchung widerstehen, ihren üblichen Platz am Tisch einzunehmen. Stattdessen hielt sie sich im Hintergrund, während Dr. Owen und Randy die Instrumentenschalen bereitstellten und die Lampen ausrichteten. Sie wollte auch gar nicht näher herantreten, wollte nicht in Annas Gesicht sehen. Erst am Tag zuvor hatten diese Augen sie angeblickt, nun war das Leben aus ihnen gewichen, und der Kontrast erinnerte sie auf brutale Weise daran, dass der Körper eine bloße Hülle ist, vergänglich und dem Verfall preisgegeben. Emma Owen hat recht, dachte sie. Bei dieser Obduktion sollte ich lieber nicht zusehen.
    Stattdessen wandte sie sich den vorläufigen Röntgenaufnahmen zu, die am Leuchtkasten hingen. Während Dr. Owen und ihr Assistent den Leichnam entkleideten, konzentrierte Maura sich auf die Bilder, von denen ihr kein bekanntes Gesicht entgegenblickte. Nichts an diesen Aufnahmen überraschte sie. Am Abend zuvor hatte sie allein durch Betasten die tiefen Impressionsfrakturen des linken Scheitelbeins festgestellt, und jetzt sah sie den Beleg in Schwarz-Weiß vor sich, ein Spinnennetz aus feinen Rissen. Als Nächstes wandte sie sich dem Brustkorb zu, wo sie selbst durch den leichten Schatten hindurch, den die Kleidung warf, massive Frakturen der zweiten bis achten Rippe erkennen konnte. Die Wucht des freien Falls hatte auch das Becken beschädigt; das Kreuzbein war zusammengestaucht, ein Schambeinast gebrochen. Genau das, was bei einem Sturz aus großer Höhe zu erwarten war. Noch ehe sie den Brustkorb öffneten, konnte Maura vorhersagen, was sie in der Brusthöhle finden würden, denn sie hatte an anderen Leichen gesehen, was ein freier Fall anrichten konnte. Bei jedem Sturz konnte es zu Rippen- und Beckenbrüchen kommen, doch was letztlich zum Tod führte, waren die Kräfte, die beim Aufprall auf den Körper wirkten, die an Herz und Lunge zerrten, die empfindliches Gewebe zerrissen und große Gefäße platzen ließen. Wenn sie Annas Brustkorb aufschnitten, würden sie ihn höchstwahrscheinlich voller Blut finden.
    »Wie ist sie denn an die gekommen?«, fragte Randy verwundert.
    »Dr. Isles, das müssen Sie sich ansehen!«, rief Dr. Owen.
    Maura ging hinüber zum Tisch. Sie hatten Annas Kleid aufgeknöpft, aber noch nicht über die Hüften heruntergezogen. Die Tote trug einen BH , ein zweckmäßiges weißes D-Cup-Modell ohne Spitze oder Rüschen. Alle starrten sie auf die nackte Haut darunter.
    »Das sind die merkwürdigsten Narben, die ich je gesehen habe«, sagte Dr. Owen.
    Maura hielt inne, betroffen von dem Anblick, der sich ihr bot. »Ziehen wir sie erst einmal ganz aus«, sagte sie.
    Als sie den Bund des Kleids über die Hüften zogen, erinnerte sich Maura an die Beckenfrakturen, die sie soeben auf den Röntgenbildern gesehen hatte, und verzog das Gesicht bei dem Gedanken, wie diese Knochenfragmente knirschend aneinanderrieben. Sie dachte an die Schreie, die sie einmal in der Notaufnahme gehört hatte, von einem jungen Mann, dessen Becken bei einem Bootsunfall zerquetscht worden war. Aber Anna konnte keine Schmerzen mehr empfinden, von ihr war kein Laut zu hören, als sie ihr die Kleider vom Leib streiften. Und dann lag sie vollkommen nackt da,

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